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53 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 05 - Der Engel der Verbannten

53 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 05 - Der Engel der Verbannten

Titel: 53 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 05 - Der Engel der Verbannten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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sie sich mit den Vorräten, deren sie während der winterlichen Pelzjagd bedürfen.
    In jenen unendlichen Ebenen, die mit dem Namen Tundra bezeichnet werden, kann nur im Winter gejagt werden, weil man sie nur beschreiten kann, wenn sie zugefroren sind. Im Frühjahr tauen sie auf, und ein jeder, der es wagen wollte, den Fuß auf sie zu setzen, würde sofort in ihren unergründlichen, bodenlosen Sümpfen untersinken und verschwinden.
    Aber wenn der Winter eine feste Decke gefroren hat, dann tun sich die Zobeljäger und auch andere zusammen, um in Gesellschaften von zehn bis zwanzig Mann dem Fang derjenigen Tiere obzuliegen, deren kostbarer Pelz auf den russischen und chinesischen Märkten so sehr gesucht ist.
    Diese Jäger sind entweder Eingeborene, die jagen müssen, da sie dem russischen Herrscher ihren Tribut und ihre Abgaben nur in Pelzwerk bringen dürfen, oder sie sind Deportierte, Verbannte, die gezwungen sind, jährlich eine gewisse Menge dieser köstlichen Felle zu bringen, wenn sie nicht schwere Strafe erleiden wollen.
    Sie tun sich zu Gesellschaften zusammen, weil ein einzelner in jenen Gegenden verloren sein würde. In der Tundra sind fünfundvierzig bis fünfzig Grad Kälte nach Reaumur gar keine Seltenheit; fürchterliche Schneestürme sausen über Sibirien dahin und belasten die Bäume mit Schneemassen, die den Wald meilenweit niederbrechen und zusammendrücken. In milden Tagen steigen Nebel auf, durch deren dicke, greifbare Massen man kaum zwei Schritte weit zu sehen vermag, und bleiben wochenlang auf der Ebene liegen, es dem Jäger geradezu unmöglich machend, seiner schwierigen Beschäftigung obzuliegen. Darum müssen sich die Zobelnick (Zobeljäger) zu Gesellschaften vereinigen, damit bei hereinbrechender Gefahr einer dem anderen zu helfen vermag.
    Hört man, daß einmal einer eine Woche oder gar vierzehn Tage lang allein in den Urwald oder auf die Tundra gegangen ist, so schütteln selbst kühne Männer den Kopf und sagen:
    „Er ist wahnsinnig!“
    Und sie haben recht. Wenigstens gehört eine sehr gute Portion Verwegenheit dazu, so etwas zu unternehmen.
    Freilich fragt es sich, ob ein amerikanischer Trapper sich fürchten würde, in grimmigster Kälte ebensogut im sibirischen Urwald herzu spazieren wie in den Wäldern des Mississippi und Missouri. Der Trapper ist ja aus einem ganz anderen Zeug gemacht als der russische Verbannte oder gar der Ostjake, Tunguse und Buräte.
    Heute nun waren diese soeben genannten und noch viele andere sibirische Völker auf dem Jahrmarkt zu Platowa vertreten.
    Das ist gewiß ein richtiges Völkerragout, bei dem es selbst dem Kenner aller dieser Elemente angst und bange werden kann. Aber es ist nicht so schlimm.
    Gewöhnlich lag in Platowa nur ein geringes Kommando Militär. Gegenwärtig aber war eine ganze Ssotnie hier verlegt worden. Ssotnie heißt bei den Kosaken eine Schwadron.
    Es war nämlich aus den fiskalischen Bergwerken in Nertschinsk, wo fast lauter Verbannte unter der Erde arbeiten, eine Anzahl dieser Unglücklichen entwichen. Man hatte erfahren, daß sie sich nach der Gegend von Platowa gewandt hatten, und aus diesem Grund waren die Kosaken hierher kommandiert worden, um die ganze Umgegend abzusuchen, die Flüchtlinge zu ergreifen und zu verschärfter Strafe abzuliefern. Der Rittmeister dieser Ssotnie war zufälligerweise der Sohn des Kreishauptmanns von Platowa.
    Er war als ein strenger, unfreundlicher Offizier bekannt und gefürchtet, und es gab in seiner ganzen Schwadron keinen einzigen Mann, dessen Zuneigung er besessen hätte.
    Außer dem Gebäude des Kreishauptmanns gab es noch ein zweites, das sich durch seine Größe auszeichnete. Es war das Domzajezdny (Wirtshaus), dessen Besitzer, der Gospodarz (Gastwirt), zu den wohlhabendsten Leuten der Stadt gerechnet werden mußte.
    Natürlich ging es heute in dem erwähnten Wirtshaus hoch her. Die Russen haben die eingeborenen Völkerschaften Sibiriens natürlich vor allen Dingen mit dem Branntwein bekanntgemacht. Der Sibirier aber kann nicht viel vertragen. Er wird sehr schnell betrunken. Und eigentümlicherweise ist seine Betrunkenheit nicht schwer, aber dafür eine desto längere. Von einem kleinen Glase Wodka wird er für zwei Tage lang betrunken, ohne jedoch den Verstand zu verlieren, wie es bei der Betrunkenheit eines anderen der Fall ist. Er springt und reitet dann doppelt selig überall herum und trinkt, wenn er nüchtern geworden ist, gleich wieder ein Glas.
    In der Wirtsstube gab es weder Tisch

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