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53 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 05 - Der Engel der Verbannten

53 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 05 - Der Engel der Verbannten

Titel: 53 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 05 - Der Engel der Verbannten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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noch Stühle. Rund um die Wände des Gastzimmers lagen Schilfmatten, und auf diesen saßen mit untergeschlagenen Beinen die schlitzäugigen Gäste mit ihren weit hervorstehenden Backenknochen. Sie tranken alles mögliche, was vorhanden war – saure Milch, Wodka, Mehlwasser oder einen Topf voll Ziegeltee. Und dabei standen ihre Zungen nimmer still.
    Wer sie schreien hörte, der hätte denken mögen, daß es hier gleich Mord und Totschlag geben werde, und doch war es nur eine freundliche und nach ihren Begriffen auch höchst anständige und noble Unterhaltung, die sie führten.
    Plötzlich standen alle Zungen still. Es war ein Herr eingetreten. Unter Herr versteht der Eingeborene jeden Mann, der kaukasische Gesichtszüge hat und eine gute Kleidung trägt.
    Der Eingetretene war von nicht zu hoher Gestalt. Er hatte weite blaue Pumphosen an, die in den Schäften der hohen Stiefel verliefen. Über den Hosen trug er einen langschößigen Schnurrock und darüber einen leichten Ziegenpelz. Auf dem Kopf saß eine Lammfellmütze, wie sie gern in Persien und den Kaukasusländern getragen wird.
    Sein Gesicht war unter einem dichten schwarzen Vollbart fast ganz versteckt. Nur die Augen konnte man deutlich sehen. Aber ihr Blick war stechend und unruhig; er machte keinen vertrauenerweckenden Eindruck. Ein russisches Gesicht hatte dieser Mann nicht. Seinen Zügen nach mußte man ihn für einen Franzosen oder Mittelasiaten halten.
    Er grüßte vornehm und überflog die Anwesenden mit einem stolzen, verächtlichen Blick.
    Der Gospodarz kam eilig herbeigerannt, stieß mehrere der Gäste über den Haufen, verbeugte sich beinahe bis zur Erde und sagte:
    „Willkommen, Herr, willkommen in meinem armen Haus! Was befiehlst du? Was wünschst du? Was ist dir recht?“
    „Kann ich bei dir wohnen?“
    „Jawohl, Herr! Aber doch nicht etwa nur du allein?“
    „Nein. Ich habe meinen Diener mit.“
    „Wo befindet er sich?“
    „Draußen bei der Kibitka.“
    „O heiliger Gott von Astrolenka! Du hast eine Kibitka? Du bist mit einem Wagen gekommen? Und ich habe es nicht gemerkt? Verzeih, Herr! Ich werde meinem Hauspatron, dem heiligen Nikodemus, ein neues Bilderbuch schenken, damit er mir diese Nachlässigkeit nicht nach meinem Tode anrechnet. Ich werde gleich nach deinem Fuhrwerk sehen.“
    „So komm!“
    Die Männer gingen hinaus. Dort stand eines jener leichten, zweispännigen Fuhrwerke, die man mit dem Namen Kibitka bezeichnet. Mehrere Koffer waren aufgeladen. Der bärtige Kutscher stand bei den Pferden.
    „Ich werde sofort befehlen, alles hereinzuschaffen“, sagte der Wirt. „Wie lange willst du bei mir wohnen?“
    „Das weiß ich noch nicht. Ich vermag nicht zu sagen, wie lange ich von meinen Geschäften hier festgehalten werde. Ich habe gehört, daß Jahrmarkt ist!“
    „Ja, Herr, ja.“
    „Dennoch sehe ich nichts davon! Wo ist der Markt?“
    „Oh, einen Marktplatz gibt es hier in Platowa nicht. Der Markt wird draußen vor der Stadt im Freien abgehalten. Darf ich erfahren, woher du kommst?“
    „Aus Irkutsk.“
    „Also aus dem Westen. Da konntest du freilich nichts von dem Jahrmarkt sehen. Er wird im Osten vor der Stadt abgehalten.“
    „Kommen da auch Zobeljäger her?“
    „Viele, Herr, sehr viele.“
    „Ich möchte mir eine Anzahl derselben engagieren.“
    „Du willst Zobeljäger in deinen Dienst nehmen? Hm, Herr, das ist gefährlich, aber auch lohnend. Du kannst da eine sehr große Summe Geldes gewinnen und auch verlieren.“
    „Wer gewinnen will, muß auch wagen.“
    „Es fragt sich auch, welche Männer du engagieren willst.“
    „Kannst du mir vielleicht einige gute Jäger nennen? Ich würde mir aus ihnen meine Gesellschaft bilden.“
    „Das würdest du nicht fertigbringen, Herr.“
    „Warum nicht?“
    „Diese Leute suchen sich ihren Umgang selbst. Keiner von ihnen würde sich von dir einen Kameraden geben lassen, den er sich nicht selbst gewählt hat. Du mußt dir einen tüchtigen Jäger wählen, mit ihm abschließen und es ihm selbst überlassen, sich die nötige Anzahl von Gefährten zu suchen.“
    „Ich werde diesen Rat befolgen. Vielleicht kannst du mir einen solchen Jäger nennen!“
    „Oh, mehrere, Herr. Der allerberühmteste ist – ja, Herr, wenn du den bekommen könntest!“
    „Wen denn?“
    „Nummer Fünf.“
    „Nummer Fünf? Wie ist sein Name?“
    „Den weiß niemand, als nur seine Vorgesetzten, die ihn verurteilt haben. Nicht einmal die hiesige Behörde kennt seinen Namen. Er ist der beste

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