54 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 06 - Die Kosaken
stand nun, an einen aus der Mauer hervorragenden Pfeiler gelehnt, ganz nahe seitwärts hinter dem Pascha.
Dieser wollte nun wohl den Perron verlassen. Er drehte sich um. Da fiel sein Auge auf Florin. Er stutzte. Dann sah man es wie einen großen Schreck über sein bärtiges Gesicht zucken. Er trat rasch einige Schritte vor, so daß Jim und Tim mit dem Gefangenen an ihm vorüber mußten.
Er hatte den letzteren erkannt. Es war nur seine Absicht, auch von ihm erkannt zu werden. Aber der Vollbart und die Brille mit ihren blauen Gläsern entstellten ihn. Den Bart konnte er nicht entfernen, aber die Brille nahm er ab.
Der Blick des Gefangenen war auf ihn gefallen, als er so eilig vortrat. Florin stutzte. Sein Auge bohrte sich in das Gesicht des Paschas. Es zuckte wie Freude über sein Gesicht, wie eine mit großem Erstaunen gemischte Freude. Er wandte sein Gesicht ab, als ob er den Pascha gar nicht sehe. Aber im Vorüberschreiten sagte er vernehmlich:
„Beni kurtar, joksa sen kajb!“
Weder Jim noch Tim nahmen an, daß diese fremden Worte dem ihnen gänzlich unbekannten Pascha galten.
„Halt's Maul, Kerl!“ meinte der erstere. „Wenn du reden willst, so sprich deutsch oder englisch, was wir verstehen!“
„Jakynda, tschok, jakynda!“ rief Florin, scheinbar als Antwort auf Jims Rede.
„Schweig! Der Teufel mag dein Gewäsch hören!“
Sie schritten mit ihm weiter.
Der Pascha stand noch eine ganze Weile bewegungslos. Er hatte noch immer mit seinem Erstaunen zu tun. Endlich setzte er sich in Bewegung und verließ den Bahnhof, ohne auf Sam und Sendewitsch zu achten. Er hatte gar nicht bemerkt, daß beide zueinander und auch zu dem Gefangenen in Beziehung standen.
Jetzt trat Sam zu dem Oberst und sagte:
„Haben Sie ihn sprechen hören? Ich möchte wetten, daß seine Worte an den Pascha gerichtet waren.“
„Da haben Sie freilich recht.“
„Leider habe ich von dem Kauderwelsch kein Wort verstanden. In welcher Sprache mag es gewesen sein?“
„In der türkischen. Er wußte, daß die beiden Transporteure sie nicht verstehen würden.“
„Verdammt! Wenn man nur wüßte – ah, Sie sind ja jetzt türkischer Offizier. Sollten Sie nicht ein wenig verstehen?“
„Ich spreche das Türkische sehr gut.“
„Prächtig! So haben Sie vielleicht die Worte dieses Halunken verstehen können?“
„Natürlich. Er sagte: ‚Bern kurtar, joksa sen kajb.‘ Das heißt: ‚Rette mich, sonst bist du verloren‘, und dann ‚Jakynda tschok jakynda, das ist: ‚Rasch, sehr rasch!‘ Er mahnte also zur Eile.“
„Schön, sehr schön! So eilig, wie er es meint, haben wir es freilich nicht. Sahen Sie, wie der Pascha erschrak?“
„Ja.“
„Er nahm die Brille ab, jedenfalls in der Absicht, besser erkannt zu werden. Jetzt läuft er den dreien nach, wohl um zu sehen, wohin sein Freundchen gebracht wird. Wollen hinterher, um ihn zu beobachten.“
Sie folgten in sicherer Entfernung und überzeugten sich, daß er den drei Männern so weit folgte, bis er sah, daß sie in das Portal des Schlosses traten. Dann kehrte er um. Er bemerkte die beiden nicht, weil sie schnell seitwärts hinter eins der Bosketts getreten waren, die zu beiden Seiten des Schloßweges standen. Er schritt eiligen Laufs an demselben vorüber.
„Der hat es notwendig!“ lachte Sam. „Ich möchte wohl wissen, was er tut.“
„Ich glaube, es Ihnen sagen zu können. Er läuft nach dem Pavillon, in dem ich ihn belauschte, um den Agenten zu bestellen. Ich wette, daß er ihm die Aufgabe stellt, den Gefangenen zu befreien.“
„Möglich. Wollen wir zuhören?“
„Natürlich!“
„Schön! Wir gehen miteinander. Vorher aber muß ich ins Schloß. Ich habe die Sorge für den Gefangenen übernommen und will mich überzeugen, ob er sich in Sicherheit befindet. Wo treffen wir uns?“
„Ich promeniere hier auf und ab.“
„Schön! Ich werde mich beeilen.“
Sendewitsch hatte nicht lange zu warten, bis Sam wiederkehrte; dann schritten sie in das Städtchen hinab.
„Kennen Sie diesen Ort, den sie Oskars Ruhe nannten?“ fragte Sam.
„Nein. Ich bin ja, wie bereits erwähnt, erst seit gestern hier.“
„Und ich kam erst heute früh. Wir müssen uns erkundigen. Dann gehen wir nach dem Pavillon.“
Sie erfuhren sehr leicht den Weg, der nach Oskars Ruhe führte, und schlenderten sodann nach der Gegend, in der der Pavillon lag. Dort schritten sie in den Promenaden auf und ab, bis sie sahen, daß der Pascha das Restaurant verließ, und traten dort
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