54 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 06 - Die Kosaken
festen Strick angebunden war, der um eine Art hölzerne Rolle lief.
„Man hat den Korb hier hinauszulassen und dreht dann die Rolle ab“, erklärte Mila. „Den Strick behält man, wenn er abgeleiert ist, in der Hand, um fühlen zu können, wenn von unten an demselben gezogen wird. Das ist das Zeichen, daß man den Korb wieder herauf winden soll. Im Fall aber, daß einer von uns in die Höhle kommt, so steigen wir am Baum herauf und ziehen hier an dem Klingeldraht. Dann hört derjenige, der hier verborgen ist, das Klingeln und kann über unser Erscheinen, da es ihm auf diese Weise angekündigt worden ist, nicht erschrecken.“
„Schwesterchen, ich muß dir eingestehen, daß ihr alles auf das vortrefflichste eingerichtet habt!“
„Sicher bist du hier jedenfalls, ganz sicher. Auf alle Fälle wird Väterchen dir heute noch einen Besuch machen, um zu sehen, wie du dich befindest. Dem kannst du sagen, wenn du noch einen Wunsch hast, du bist uns von Karpala empfohlen, und so werden wir dir so viele Bequemlichkeiten bieten, wie uns nur irgend möglich ist.“
„Tut ihr das nicht bei einem jeden?“
„Nein, das wäre zuviel verlangt.“
„Warum macht ihr dann gerade bei mir eine Ausnahme, mein gutes Schwesterchen?“
„Weil ich durch Gisa weiß, daß – daß sie dich liebt“, entgegnete Mila lächelnd.
„Ach wirklich? Sie liebt mich?“ rief Georg erregt aus. „Wer hat ihm das mitgeteilt?“
„Vielleicht hat sie es ihm selbst gesagt, als sie dich ihm anvertraute. Jedenfalls hat er dich uns empfohlen, weil Karpala dich liebt, und weil du sogar ein Edelmann bist. Nicht wahr, auch du liebst sie von ganzem Herzen?“
„Ja, von ganzer Seele!“ gestand Georg mit Feuer.
„Hat Karpala dir nicht gesagt, wann sie hiersein wird?“ forschte Mila.
„Nein. Aber sie kommt.“
„Auf ihre Ankunft freue ich mich ungeheuer. Doch leb wohl, Freundchen, leb wohl für heute! Morgen sehen wir uns wieder.“
„Ja, behüte dich Gott!“
Sie reichten einander die Hand, und dann gab Mila Georg das Licht und verschwand draußen im dunklen, dichten Geäst des Baums.
Georg aber kehrte in das Innere zurück und hielt hier genaue Inspektion über alle Räume. Da fand er noch vieles, was Mila ihm nicht gezeigt hatte. Es war wirklich für jedes Bedürfnis nach Kräften auf das trefflichste gesorgt.
Im Lesezimmer löschte er die noch immer brennende Lampe aus, um das Öl zu sparen, und begab sich hierauf hinaus in den Krater, in dessen steiler Wand er emporstieg. Die Höhe betrug weit über hundert Fuß.
Als er oben angekommen war, befand er sich auf der Zinne des Felsens. Niemand konnte von außen ahnen, daß sich hier im Inneren des Felsens ein so geräumiges und vortreffliches Versteck befand. Unter den Sträuchern verborgen, hielt er Umschau in die Ferne.
Er konnte links bis hinüber zum Fluß sehen. Rechts lag in weiter Entfernung die Stadt. Weiterhin schlossen sich Stanitzen an dieselbe an, befestigte kleine Kosakendörfer, zwischen denen die einzelnen Wachtposten mit ihren Feuerzeichen sich befanden.
Georg ging langsam oben auf dem Kamm des Kraters weiter und rund um denselben herum.
Er sah das Baikalgebirge und konnte zwischen den Lücken desselben erkennen, wie die mongolische Wüste sich starr und leer nach Süden zog. Weiter westlich lag der See. Seine Wasser schimmerten wie flüssiges Silber im Sonnenstrahl, und aus dieser silberglänzenden Flut stiegen grüne, bewachsene Inseln auf.
Dort im Westen, aber weit – weit lag die Heimat, das liebe, herrliche, deutsche Vaterland!
Sein Auge wurde feucht. Wie lange, oh, wie lange war er demselben fern gewesen, ein Flüchtling, ein Verbannter!
Er setzte sich nieder, lehnte sein Haupt an einen Felsen und versenkte sich in wehmütige Erinnerungen. Er gedachte seiner Flucht aus der Heimat, des wilden, gefahrvollen Soldatenlebens im Kaukasus, des Herzeleids, das er dort ertragen hatte, und – des einzigen Sterns, der ihm dort erschienen war! –
Ja, er hatte sie geliebt, Zykyma, die Herrliche, und sie ihn auch. Dann aber war ihm plötzlich ein neuer Stern aufgegangen – Karpala, die Liebliche, die wie Schnee Glänzende!
Die Sonne hatte niedergehend die Spitzen des Gebirges erreicht und versank hinter dasselbe. Die Berge begannen lange, tiefe Schatten auf den See zu werfen. Es war Zeit, sich zurückzuziehen.
Da stieg Georg hinab, trank von dem frischen Quell und begab sich nach der Bibliothek. Hier brannte er die Lampe wieder an, suchte sich ein Buch und
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