55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät
wendete sich aber sogleich zu den anderen und improvisierte eine Menge Artigkeiten, während deren man die Treppe emporstieg. In diesem Augenblick kam Müller herab. Er blieb in untertäniger Haltung stehen, um die Herrschaften vorüberzulassen. Marion sah ihn und erstaunte freudig. Auch Rallion erblickte ihn. Seine Überraschung war so überwältigend, daß er ausrief:
„Morbleu, das ist ja gar der deutsche Billardtölpel! Was tut er hier?“
Alle erschraken und blickten auf den Beleidigten, was er tun werde. Dieser jedoch sah den Grafen gar nicht an; er machte den beiden jungen Damen eine Verbeugung und schritt vorüber.
Das Gesicht Marions war wie mit Blut übergossen. Schämte sie sich der Roheit des Grafen oder der Feigheit Müllers? Wer hätte dies wohl sagen können! Der Kapitän zuckte verwundert die Achseln. Er konnte gar nicht begreifen, daß ein so ausgezeichneter Schütze und Fechter, wie Müller war, eine solche Blamage sich gefallen ließ. Als man den Saal erreicht hatte, fragte der Oberst:
„Aber, lieber Kapitän, was tut denn dieser Deutsche bei Ihnen?“
„Er ist der Gouverneur Alexanders“, antwortete der Gefragte.
„Fi donc! Da wird unser Alexander sehr viel lernen! Dieser Mann versteht weiter nichts, als Billards zu zerstoßen.“
Alexander biß sich auf die Lippen, um sich zum Schweigen zu zwingen, aber es gelang ihm nicht. Er blickte den Sprecher herausfordernd an und antwortete:
„Wissen Sie, daß dies sehr unhöflich von Ihnen ist? Wenn Herr Müller nur wollte, so würde er Ihnen beweisen, daß er mehr versteht, als Sie zu glauben scheinen. Er ist mein Lehrer, und ich erkläre, daß er außerdem mein Freund ist. Ich werde nicht dulden, daß man ihn beleidigt.“
Der Oberst blickte den jungen Menschen mit dem höchsten Erstaunen an. Bald aber spielte ein sarkastisches Lächeln um seine Lippen, und er antwortete:
„Ihr Freund? Ah, ich beneide ihn um einen so mächtigen Schutz, lieber Alexander!“
„Er bedarf zwar dieses Schutzes nicht“, sagte der Angeredete, „denn er ist selbst Manns genug und steht als Mitbewohner unseres Hauses natürlich unter dem Schirme desselben, was jeder gebildete Mann respektieren wird; trotzdem aber werde ich keineswegs dulden, daß in einem unfreundlichen Ton von ihm gesprochen wird. Er hat mir das Leben gerettet; ich muß ihm dankbar sein!“
Marion warf einen Blick auf den Bruder, in welchem sich Erstaunen mit wohlwollender Anerkennung paarte. Im Gesicht seiner Mutter zeigte sich der deutlichste Stolz ausgesprochen, und sogar der Kapitän zog seine Schnurrbartspitzen in einer Weise durch die Finger, in welcher sich eine Art Beifall zu erkennen gab. Der Oberst bemerkte dies; er schien sich darüber zu ärgern, denn er meinte unter einem höhnischen Lächeln:
„Das Leben gerettet? Hm, das ist etwas anderes. Dieser Mensch scheint vom Zufall bestimmt zu sein, aller Welt das Leben zu retten. Man möchte ihn beneiden!“
Da sagte Marion in einem Ton, welchem ein leichter Nachdruck anzuhören war:
„Ich möchte da keineswegs von Zufall sprechen. Er besitzt Mut und Entschlossenheit, zwei Eigenschaften, welche anderen allerdings zur Lebensrettung nicht bestimmt erscheinen.“ Und nach diesen Worten, welche doch eine leise Röte der Scham in das Gesicht des Obersten brachten, fuhr sie, zum Kapitän gewendet, fort: „Dieser Monsieur Müller ist es nämlich, welcher mit mir durch den Fluß geschwommen ist.“
„Wirklich?“ frug der Alte erstaunt.
Das war jedoch auch das einzige Wort, welches er sagte. Seine Enkelin hatte sich in Todesgefahr befunden und war gerettet worden; ihr Retter war der neue Lehrer. Das wußte man nun. Was war da ein großes Aufhebens nötig? Der Kapitän hatte seit gestern so viel sprechen müssen, daß es ihm heute nicht einfallen konnte, über diese Angelegenheit viele Worte zu verlieren. Die Baronin jedoch fühlte gar wohl die Verpflichtung, als Dame des Hauses wenigstens eine Bemerkung zu machen. Sie sagte im Ton des Erstaunens:
„Er ist auch das gewesen? Welch ein Zufall. Man ist ihm wirklich zu Dank verpflichtet!“
Alexander ergriff die Hand der Schwester und rief aus:
„Auch du verdankst ihm dein Leben, meine liebe Marion? Oh, nun muß ich ihn noch einmal so lieb haben. Ich werde ihm nachgehen, um ihm dies mitzuteilen.“
Er sprang vom Stuhl auf und verließ den Saal, ohne sich von den anderen halten zu lassen.
Es gelang ihm freilich nicht mehr, Müller zu Gesicht zu bekommen, denn dieser hatte das
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