56,3° Im Schatten
zertrümmerten Eingangstür hängt, während sich gleichzeitig alle im Tal fragen, wer denn noch ein paar Flaschen vom goldenen Gold zu Hause haben könnte. In diesen schwierigen Zeiten wäre ein herrenloses Wirtshaus mit einem Bierdepot im Keller nichts anderes als ein offener, unbewachter Safe.
Also hat die Roswitha den Auerhahn in seinem Auftrag zu einer praktisch uneinnehmbaren Festung ausgebaut, und aus der feuert sie jetzt von ihrer Generalsanhöhe im Dachboden herunter auf alles, was sich im Umkreis von tausend Metern auf den Auerhahn zubewegt, Tag und Nacht. Bumm! Bumm! Bumm!
Ihr kommt heute jedenfalls keiner in die Wirtsstube hinein mit seinem schlechten Benehmen und den dreckigen Schuhen, kein Russe mit seinen vollen Taschen, kein Rumäne mit seiner Bande, kein Deutscher mit seiner Regenjacke und kein Busfahrer, der nur schnell, schnell dreißig Seniorenteller für seine Senioren aufgetischt haben will, schlicht und ergreifend: keiner!
Auch der Biermösel selbst nicht.
Vor ein paar Tagen hat er seine Schwester noch persönlich zum Freiwilligenkurs „Schießen“ verdonnert, nicht zu verwechseln mit dem Pflichtkurs „Scheißen“, sodass sie jetzt sogar schneller feuert als der Lucky Luke, „Roswitha, bitte hör auf!“ Aber die feuert natürlich unbeirrt weiter, weil sie trotz allem Talent für das Schießen ein launisches Weibsstück geblieben ist, welches das Gute nicht vom Schlechten unterscheiden kann –
„Herrgott, Roswitha, ich bin’s!“
„Beweise!“
Angesengt wie die Grillsau, wagt der Biermösel dann im Kugelhagel endlich den entscheidenden Durchbruch. Bumm! Bumm! Bumm!, pfeift ihm das Blei aus den Spritzen von der Roswitha um die verbrannten Ohrwascherl, dazu heulen die Sirenen und verfolgen ihn voltstarke Suchscheinwerfer auf seinem gewagten Hasen-Zickzack durch die feindlichen Linien. Als ihr endlich doch noch die Munition ausgeht, schießt sie ein paar steinharte Knödel herunter und leert heißen Krautsalat über ihn, „Roswitha, ich bitte dich!“, schreit er immer wieder, aber Generalfeldmarschall R. Biermösel hält unbeirrt Stellung und verteidigt das Bierdepot mit Händen und Füßen, wohl auch, weil sie ein paar offene Rechnungen mit dem unerfüllten Leben insgesamt zu begleichen hat.
„Ich will körperliche Liebe!“, macht sie das Unsagbare zur Bedingung für seinen Einlass, aber auf so einen dreckigen Handel wird er sich natürlich nicht einlassen, wo ihn der Sex bei dieser Hitze doch am allerwenigsten interessiert, wenn er an seine Schwester denkt.
Als sie dann endlich für eine kurze Feuerpause aus dem Dachboden herunterkommt, um sich die schmerzenden Füße im Krautbottich unten im Keller zu vertreten, nützt der Biermösel diese Gelegenheit und stolpert in die Festung hinein, und noch in der Wirtsstube gibt er ihr ein paar ordentliche Watschen, bevor er sie dorthin schickt, wo sie seiner Meinung nach sowieso am besten aufgehoben ist:
„Geh sofort in die Küche und nimmt dort den Schürhaken!“, schreit er sie an, „dann steck ihn tief in die Buchenholzscheiter-Glut im Schweinsbratenofen, und wenn er schön glüht, bring ihn zu mir in die Wirtsstube heraus, ich werde dann tun, was du sonst immer tust, wenn dir oben in deiner Kammer fad ist und du auf deinem Bett herumliegst: Ich werde mich aufbocken und dir meinen Steiß darbieten.“
„Du heilige Maria, Mutter Gottes!“, kommt der Roswitha ein überraschend Gehaltvoller aus, bevor sie sich ein paarmal bekreuzigt und in der Küche verschwindet, und hoppala, plus 47,1 ° im Schatten, 2.43 Uhr morgens.
Bald wird es dämmern.
Der Biermösel war ja schon in der Gendarmerieschule nicht der Schlechteste im Fach „Fallenstellen wie der Trapper John“ – dem Feind das Freibier stehlen, ihn dadurch herlocken, die persönliche Konfrontation suchen und ihn am Ende vernichten –, nur dass er halt bisher nicht die Gelegenheit dazu gehabt hat.
Während die Roswitha die Glut im Ofen anfacht, öffnet der Biermösel seine Satteltasche und holt das schwarze Foltergeschirr aus Leder heraus, das ihm der Alte seinerzeit vermacht hat. Dann probiert er die schwarze Sexmaske, die er dem Bürgermeister neulich an der Kanaldeckelstraße abgenommen hat, auf dem Weg vom Puff in Goisern hinauf zum Spitzgiebelaltbau vom Weiß Ferdl, in dem er seine Gesangsstunden nimmt, wahrscheinlich als Gegenleistung für einen an der Behörde vorbei genehmigten Umbau. Dann, und mit besonders bitteren Gedanken, holt er noch eine schwarze
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