595 Stunden Nachspielzeit - Humorvoller Roman (German Edition)
klingt dabei aber so, als sei ihm das gar nicht recht. »Sogar Frau Rudy gefällt der Roman.«
»Wer ist Frau Rudy?«
»Meine Deutschlehrerin. Die hat nach der Lesung doch ein Buch bei dir gekauft«, erklärt er in einem Tonfall, der mir signalisiert, dass ich darauf hätte allein kommen müssen.
»Ach die!«
»Sie hat mich gefragt, ob wir wirklich befreundet sind. Also habe ich ihr von unserem Wochenende erzählt. Da hat sie gestaunt. Wenn du willst, kannst du jedes neue Buch in unserer Klasse vorstellen.« Nun blickt er sich um. »Wo ist deine Freundin?«
»Liegt mit Kopfschmerzen im Bett«, erkläre ich.
»Die Arme!«, flüstert er. »Dann müssen wir leise sein. Wenn Mami mit Kopfweh im Bett liegt, bin ich immer mucksmäuschenstill.«
Ich lächle über seine Rücksichtsnahme. »Ganz so leise brauchen wir nicht sein. Sofern wir hier im Wohnzimmer bleiben, hört sie uns nicht. Was sollen wir spielen?«
»Kennst du das verrückte Labyrinth?«
»Logisch!« Ich erinnere mich an einige lustige Spieleabende, an denen Melanie, Daniel und ich viel Spaß mit diesem Klassiker hatten.
»Hast du Lust?«
»Gerne.«
Vorsichtig schiebt er seinen Stuhl nach hinten und erhebt sich. Auf Zehenspitzen läuft er zur Wohnzimmertür. Amüsiert beobachte ich, wie er beinahe lautlos die Wohnung verlässt.
Bei den ersten Partien halte ich gut mit. Nachdem Noah das zweite Mal hintereinander verloren hat, besteht er auf eine Regeländerung. Er darf sich eine beliebige Karte aussuchen, die ihm den nächsten Schatz anzeigt, während ich die vorgegebene Reihenfolge einhalten muss. Ich erkläre mich einverstanden und verliere viermal. Kurz nach dem Start einer weiteren Runde klingelt es an meiner Wohnungstür. Noah stürmt hinaus und hat dabei die Kopfschmerzpatientin allem Anschein nach vergessen. Bei der Rückkehr begleitet ihn seine Mutter.
»Hi«, begrüßt sie mich.
Ich zwinkere ihr zu. »Dein Sohn zockt mich ab.«
Sie vergewissert sich, mit welchem Spiel wir uns die Zeit vertreiben. »Hat er auf die Kindervereinfachung bestanden?«
»Erst nach seiner zweiten Niederlage.«
»Seitdem verlierst du?«, vermutet Katharina.
Ich nicke.
Sie setzt sich zu uns an den Tisch und sieht uns zu. Immer wieder suche ich ihren Blick, den sie zu meiner Freude erwidert. Viel länger als notwendig sehen wir uns dabei lächelnd in die Augen.
Knapp vor dem Ende der Partie öffnet sich die Wohnzimmertür. Arabella betritt den Raum, lediglich bekleidet mit einem weißen T-Shirt und einem Slip. Man merkt ihr deutlich an, dass sie bis gerade eben im Bett lag.
»Hallo Arabella«, sagt Noah freundlich.
»Hallo Kleiner!«
»Oh, ich, äh, wusste nicht –«, stammelt hingegen seine Mutter. Mit ihrem Stuhl rutscht sie ein Stück von mir fort.
Meine Mitbewohnerin bemerkt dies. »Nur keine Panik!«, beruhigt sie meine Nachbarin. »Wir sind kein Liebespaar. Kein Grund zur Aufregung.« Sie gähnt, dreht sich um und schlurft ins Bad.
Katharina schaut mich an, offensichtlich nähere Details erwartend.
»Noah, gehst du schon mal nach oben?«, bitte ich ihn. »Ich habe oft genug verloren.«
»Das wäre super«, unterstützt seine Mutter meinen Wunsch. »Ich muss kurz mit Sven reden, dann komme ich nach«
Er packt das Spiel ein und klemmt es sich unter den Arm. »Bis bald! Morgen habe ich um ein Uhr Schulschluss.«
»Ich bin hier.«
»Ihr seid kein Paar?«, vergewissert sie sich, sobald ihr Sohn das Zimmer verlassen hat. »Habt ihr euch getrennt?«
Da ich nicht weiß, wie sie auf die Wahrheit reagieren wird, gerate ich in Versuchung, eine Geschichte zu erfinden. Doch unter Berücksichtigung meines Karmakontos entschließe ich mich zur beinahe ungeschminkten Fassung.
»Ich habe dir erzählt, ich hätte sie im Internet kennengelernt. Das war allerdings bei keiner normalen Partnerbörse. Die Seite heißt Terminfrauen. Man kann Arabella stunden-, tage- oder wochenendweise buchen.«
»Sie ist eine Escortdame?«, hakt Katharina nach.
»Ich habe sie vorletztes Wochenende gebucht«, bestätige ich nickend. »Wir hatten eine schöne Zeit. Dann stand sie plötzlich letzten Dienstag vor meiner Tür und bat um Asyl. Sie überlegt auszusteigen, hat Probleme mit einem Zuhälter. Er kennt ihre Adresse, deswegen wohnt sie momentan bei mir.«
»Da ich euch beim Sex gehört habe, ist sie wohl keine reine Begleitperson?«
Aus ihrer Stimme lässt sich kein Rückschluss auf ihre Gefühle ziehen. Immerhin klingt sie weder aufgebracht noch entsetzt.
»Sie bietet
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