6. Die Rinucci Brüder: Neapel sehen und sich verlieben
euch erst vor wenigen Jahren wiedergefunden, oder?“ „Ja. Ich war fünfzehn bei seiner Geburt, und er wurde mir sofort weggenommen. Luke und Primo stammen aus meiner ersten Ehe, und Francesco …“ Sie verstummte.
„Ich wollte nicht neugierig sein“, erklärte Celia hastig. „Schließlich geht es mich nichts an.“ „Ich möchte es dir aber erzählen. Obwohl wir uns erst kurze Zeit kennen, habe ich das Gefühl, dass ich dir vertrauen kann.“
„Danke für dein Vertrauen.“
„Als ich vor vielen Jahren in England meinen ersten Mann heiratete, hatte er aus der Ehe mit seiner verstorbenen Frau Elsa Rinucci, Tonis Schwester, einen Sohn, Primo, und wir haben dann noch Luke adoptiert. Es war keine glückliche Ehe, was vor allem meine Schuld war. Für mich war es eine Vernunftheirat. Eines Tages lernte ich Franco Rinucci kennen, der dritte der Geschwister – in der Reihe nach Elsa und Toni … Er wollte seinen Neffen Primo besuchen.“ Sekundenlang schwieg sie, ehe sie wiederholte: „Wir haben uns kennengelernt …“
„Und dann ist es geschehen?“ Celias Stimme klang sanft.
Lächelnd und mit Tränen in den Augen gab Hope zu: „Ja. Wir haben versucht, uns dagegen zu wehren, denn wir waren beide verheiratet und hatten Kinder. Er blieb eine Woche bei uns, und als er nach Italien zurückkehrte, war ich schwanger. Dass es für uns keine gemeinsame Zukunft geben konnte, war uns klar. Dass er meinetwegen seine Familie verließ, wäre für mich nie infrage gekommen. Wir hatten eine einzige wunderschöne Woche, die ich nie vergessen werde – und ich habe den Sohn, der mich immer an diese schöne Zeit erinnert.“
„Francesco, nicht wahr?“
„Ja. Mein erster Mann glaubte zunächst, es sei sein Kind. Als er eines Tages die Wahrheit zufällig herausfand, hat er mich mit Francesco hinausgeworfen. Luke durfte ich behalten, aber Primo musste bei ihm bleiben.
Wenig später ist mein Mann gestorben, und Primo kam nach Italien zu den Rinuccis, den Verwandten seiner leiblichen Mutter. Ich habe ihn besucht und so die ganze Familie kennengelernt.“
„Natürlich auch Toni, stimmt’s?“
„O ja. Er war Anfang dreißig und ein wunderbarer Mensch, er strahlte Kraft und Stärke aus, zugleich aber auch etwas sehr Sanftes.“
„Hast du Franco damals wiedergesehen?“, erkundigte sich Celia.
„Nur kurz. Er lebte in Rom und kam zu Besuch. Länger als fünf Minuten waren wir nicht allein, mehr konnten wir beide nicht ertragen. Am nächsten Tag habe ich Tonis Heiratsantrag angenommen.“ „Weiß er, was zwischen dir und Franco war?“
„Ich wollte ihm alles erzählen, er wollte es aber gar nicht wissen. Was vor unserer gemeinsamen Zeit gewesen sei, interessiere ihn nicht und ginge ihn nichts an, meint er.“
„Wahrscheinlich ahnt er die Wahrheit, will jedoch keine Gewissheit haben“, vermutete Celia. „Das nehme ich an.“
„Hast du ihn auch aus Vernunftgründen geheiratet?“
„Zunächst dachte ich es, ja“, gab Hope zu. „Doch dann geschah etwas Seltsames. Ich entdeckte, dass Toni ein überaus liebenswerter Mann war, der alles zu geben bereit war, ohne jemals im Gegenzug etwas dafür zu verlangen. Ihm war mein Glück wichtiger als seins. Was kann man mit so einem Mann machen?“
„Darauf gibt es nur eine Antwort: Man muss ihn einfach lieben“, erwiderte Celia, ohne zu zögern. „Genau so empfinde ich es auch.“
Ermutigt durch Hopes Vertrauen, wandte Celia ein: „Aber es ist nicht dasselbe, wie bis über beide Ohren verliebt zu sein, oder?“
„Das stimmt. Diese eine wunderbare Woche mit Franco werde ich nie vergessen. Aber verliebt zu sein ist nicht alles im Leben. Es ist bestimmt nicht das Wichtigste.“
Vielleicht hat sie recht, dachte Celia.
10. KAPITEL
An diesem Abend kam Francesco erst spät nach Hause. Celia war es leid gewesen, noch länger zu warten, und lag schon im Bett. Er bemühte sich, leise zu sein, um sie nicht zu wecken. Als er vorsichtig ihre Zimmertür öffnete, tat sie so, als schliefe sie.
Zum ersten Mal in ihrem Leben musste sie damit rechnen, eine Niederlage zu erleiden … Dank ihres scharfen Verstands und ihrer besonderen Talente hatte sie bislang in ihrem Leben alles erreicht, was sie sich vorgenommen hatte. Was auch immer sie haben wollte, sie kämpfte mit allen Mitteln darum. Francesco aus der Wohnung zu werfen war ein Fehler gewesen, den sie schon bald bereut hatte. Also hatte sie sich etwas einfallen lassen müssen, um ihn zurückzugewinnen. Sie war in ein
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