6. Die Rinucci Brüder: Neapel sehen und sich verlieben
Situation konnte sie keine Rücksicht auf die Regeln nehmen, die sie selbst aufgestellt hatten.
Sie beugte sich zu ihm hinunter, um ihn zu küssen. Im selben Moment stieß er einen Schrei aus und setzte sich so unvermittelt auf, dass er mit Celia zusammenstieß.
„Francesco, was hast du?“
„Was? Wer bist du?“ Er packte sie an den Armen und schüttelte sie.
„Ich bin’s – Celia.“
Er zog eine Hand zurück, und sie hörte, dass er das Licht anknipste. War er wirklich so verwirrt, dass er sich bei Licht vergewissern musste, wer sie war?
„Meine Güte, was ist los?“, fragte sie.
„Nichts. Ich … Was willst du hier?“
„Ich habe dich im Schlaf sprechen gehört. Es klang wie ‚Verschwinde!‘“
Er zog scharf die Luft ein. „Das ist reine Einbildung. Es kann genauso gut etwas anderes gewesen sein.“
„Nein, ich bin mir ganz sicher.“
„Es ist nur Einbildung“, wiederholte er.
„Okay, wie du meinst.“
„Hast du nie Albträume?“
„Nein. Aber wenn ich welche hätte, würde ich zu dir kommen und mich in deine Arme schmiegen, erst recht, wenn ich im Schlaf geweint hätte.“
Sie hob die Hand und wollte ihn berühren, aber er hielt sie fest. „Das ist absurd, ich habe nicht geweint“, fuhr er sie an.
Sie war tief bestürzt, so hatte sie ihn noch nie erlebt. Es hatte jedoch keinen Sinn, ihm zu widersprechen.
„Geh ins Bett“, forderte er sie auf. Sein Ärger hatte sich aufgelöst, stattdessen legte er jetzt eine Unversöhnlichkeit an den Tag, die erschreckend entmutigend wirkte.
„Dann Gute Nacht“, sagte sie.
Wenn er auch nur eine winzige Spur von Schwäche gezeigt hätte, hätte sie ihn geküsst. Aber außer Härte spürte sie nichts, und sie verließ den Raum.
Danach lag sie noch lange wach; es drang jedoch kein Geräusch mehr aus seinem Zimmer. Wie vieles sich zwischen ihnen geändert hatte. Früher war er immer derjenige gewesen, der ihr im Streit entgegengekommen war, während sie sich zurückgezogen hatte. Jetzt war es umgekehrt, er schloss sie aus.
Was war nur geschehen? Eine unerklärliche Angst stieg in ihr auf.
Am nächsten Tag beschloss Celia, zu Hause zu bleiben, damit Francesco sich ganz auf seine Arbeit konzentrieren und in die Firma fahren konnte.
„Wenn du mich brauchst, ruf mich an, ich komme sofort“, versprach er höflich.
„Keine Sorge, ich muss nirgendwohin“, erwiderte sie genauso höflich.
„Du hast viel zu tun, oder?“
„Ja, ich werde kochen und backen.“
Sie spürte seine Überraschung. Doch er legte ihr nur kurz die Hand auf die Schulter und verschwand. Nachdem sie eine Zeit lang dagesessen und gegrübelt hatte, rief sie Hope an.
„Ich möchte etwas Besonderes für Francesco kochen. Kannst du mir ein paar Tipps geben?“ „Das mache ich gern. Soll ich zu dir kommen?“
„O ja. Ich freue mich.“
Als Hope eine Stunde später mit selbst gebackenem Kuchen eintraf, hatte Celia den Kaffee schon fertig.
„Brauchst du Francesco heute nicht?“, fragte Hope.
„Nein. In der Wohnung kenne ich mich so gut aus, dass er eigentlich nur im Weg ist.“
„Der arme Kerl.“ Hope seufzte. „Er bemüht sich verzweifelt, alles richtig zu machen und dir zu helfen.“
„Und ich wünschte, ich wüsste, wie er im Grunde seines Wesens wirklich ist.“
„Weißt du das nicht?“
„Ich weiß nur, wie er sich bei mir und mit mir verhält, aber ich glaube, es ging alles zu schnell mit uns beiden. Wenn wir uns nicht schon am ersten Abend Hals über Kopf ineinander verliebt, sondern uns erst besser kennengelernt hätten, wüsste ich vielleicht, was für ein Mensch er vorher war.“ „Du meinst, ehe die Liebe ihn verändert hat? Da kann ich dir nicht weiterhelfen, ich habe ihn in den letzten zehn Jahren nicht oft gesehen“, antwortete Hope.
„Er scheint von Dämonen getrieben zu sein.“
„Hat er immer noch Albträume?“
„Jetzt wieder, aber er will nicht darüber reden.“
„Mit mir wollte er auch nicht sprechen,“ Hopes Stimme bekam einen schmerzerfüllten Klang. „Seit seiner Rückkehr aus England hat er dieses Problem. Wie es vorher war, weißt du sicher besser als ich.“
„Als wir zusammenlebten, hatte er keine Albträume.“
„Er ist ein seltsamer Mensch“, meinte Hope. „Aber in unserer Familie gab es viel Durcheinander. Mein ältester Sohn Justin war davon am stärksten betroffen, er hat trotzdem weniger darunter gelitten als Francesco, was ich nicht ganz verstehe.“
„Er hat Justin einmal erwähnt. Du und er habt
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