6. Die Rinucci Brüder: Neapel sehen und sich verlieben
erzählt hatte, fand Celia es wenig überraschend. Hope und Franco hatten sich so sehr geliebt, dass sie sich auch noch viele Jahre später lieber aus dem Weg gingen. Wie würde sie reagieren, wenn Lisa starb und Franco frei war? Musste Toni befürchten, sie würde ihn verlassen? Nach dem Gespräch mit Luke berichtete Toni schließlich mit unglücklicher Stimme: „Lisa liegt im Sterben. Mein Bruder bittet uns zu kommen, die ganze Familie.“
Francesco brachte als Einziger einen Einwand vor. „Ich kann Celia nicht allein lassen“, erklärte er an seine Mutter gewandt.
„Sie gehört zur Familie und kommt hoffentlich mit“, entgegnete Hope.
„Natürlich. Danke, Hope.“ Celia war klar, dass es Francesco nicht um sie ging, er benutzte sie nur als Ausrede. Er hatte ganz andere Gründe, warum er seinen leiblichen Vater nicht besuchen wollte. Es wurde beschlossen, am nächsten Morgen mit dem Zug nach Rom zu fahren. Die Einladung, bei Franco zu übernachten, lehnten alle ab.
„In der momentanen Situation kann er bestimmt keine Gäste im Haus gebrauchen, wir übernachten im Hotel“, entschied Hope.
Celia hätte gern noch allein mit Hope gesprochen, doch es ergab sich keine gute Gelegenheit mehr. Hope umarmte sie zum Abschied, und Celia spürte die Gefühle, die Hope bewegten.
Auf der Rückfahrt sprach Francesco kein Wort. Erst als sie zu Hause waren, brach er das Schweigen. „Es tut mir leid, dass meine Mutter dich da mit hineingezogen hat.“
„Ich komme wirklich gern mit. Nur schade, dass du mich nicht dabeihaben willst.“
„Unsinn. Weshalb sollte ich etwas dagegen haben, dich mitzunehmen?“ Seine Stimme klang gereizt. „Das weißt du sicher besser als ich, aber du willst ja nicht darüber reden. Du hast dich eingeigelt un d lässt niemanden an dich heran.“
„Einbildung, nichts als Einbildung“, entgegnete er ungeduldig. „Aber ich muss dir etwas sagen, was dir sicher nicht gefällt. Della wird für uns ein Doppelzimmer buchen. Ich wusste nicht, wie ich es ihr ausreden sollte. Gleich nach unserer Ankunft werde ich zwei Einzelzimmer nehmen.“
„Nein, lieber nicht. In der fremden Umgebung fühle ich mich sicherer, wenn du bei mir bist.“
„Okay, dann ist das geklärt.“ Wieder schwieg er, so als fiele ihm jedes weitere Wort schwer. Celia versuchte, seinen Rückzug zu deuten, doch dieses Mal konnte sie nicht zu ihm durchdringen, und das erschreckte sie zutiefst.
Ich muss die Wahrheit herausfinden und endlich in Erfahrung bringen, ob er sich von mir abgewandt hat, überlegte sie. Wenn sie ihn berührte, würde seine Reaktion ihr Klarheit verschaffen.
Sie ging betont langsam in seine Richtung und merkte schließlich, dass er mit gesenktem Kopf dasaß, so als wäre etwas zu Ende und als wüsste er nicht, was er nun machen sollte. Er strahlte keine Feindseligkeit aus, nur tiefe Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Wie hatte sie so dumm sein können zu glauben, er hätte sich von ihr abgewandt?
„Was hast du? Verrat es mir“, bat sie ihn, während sie sich von hinten über ihn beugte und die Arme um ihn legte.
„Ich weiß doch selbst nicht, was los ist.“ Seine Stimme klang ausdruckslos.
„Irgendetwas quält dich doch. So bedrückt und niedergeschlagen warst du früher nicht.“
„Doch, mein Leben lang habe ich mich mit solchen Tiefs herumgeschlagen. Ohne Vorwarnung steckte ich plötzlich mitten in einem Anfall von Depressionen. Es geschah aber so selten, dass ich es für unproblematisch hielt. Dann hatte ich jahrelang keinen Anfall und nahm an, die Sache sei endgültig überwunden. Aber vor einigen Monaten stürzte alles wieder mit Gewalt auf mich ein.“
„Hat es etwas mit mir zu tun?“
„Ja, auch“, antwortete er zögernd. „Aber nicht nur mit dir. Ich habe das Gefühl, ein riesiger bedrohlicher Schatten liegt auf meiner Seele und blendet alles Helle und Freundliche aus.“ „Deine Mutter hat mir erzählt, dass Franco dein Vater ist“, sagte sie sanft.
„Ja, alle wissen es, aber Toni zuliebe spricht keiner darüber. Seltsamerweise ist es mir ziemlich gleichgültig. Wenn wir uns begegnen, was nur selten passiert, wechseln wir ein paar belanglose Worte, das ist alles. Zum Glück sehe ich ihm nicht ähnlich, außerdem hat er noch einen Sohn und zwei Töchter. Ich war und bin zufrieden mit der Situation. Toni war mir immer ein wunderbarer Vater, dafür bin ich ihm sehr dankbar. Ich würde ihn niemals verletzen. Aber es ist schon spät, und wir müssen morgen früh
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