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60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

Titel: 60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Liebesgedichte schreibt und liest, der pflegt in den Angelegenheiten des weniger poetischen Lebens gewöhnlich ein Schlendrian zu sein. Ich muß Ihnen leider erst erklären, welche Pflichten Sie zu erfüllen haben!“
    Er setzte sich in Positur, opferte seiner Nase eine Prise, legte sein Gesicht in strenge Falten und sagte:
    „Sie Sind den Mietzins schuldig geblieben?“
    „Leider ja.“
    „Diese Schuld mußte gebucht werden!“
    „Ich glaube es.“
    „Sie sind schuld, daß diese Arbeit nötig wurde und haben also die Kosten derselben zu bezahlen.“
    „Von solchen Kosten habe ich noch nie gehört. Wieviel betragen sie?“
    „Vier Prozent der Schuldsumme.“
    „Mein Gott! Das macht mit den Zinsen ja zwölf Prozent!“
    „Allerdings. Und dazu kommen die Anwaltskosten.“
    „Ich hatte doch mit keinem Anwalt zu tun!“
    „Aber ich! Sie kamen heute nicht, um zu bezahlen, und so ging ich zum Advokaten, um die Klage auf Emission anfertigen zu lassen. Das kostet Geld, das Zurücknehmen der Klage kostet wieder Geld. Wollen Sie zahlen, und sind Sie wirklich imstande, es zu tun?“
    Robert war wie vom Donner gerührt. Er, der bescheidene, unerfahrene Jüngling, war einem solchen Mann gegenüber machtlos. Er fragte sich, ob die fünfzig Taler wohl reichen würden; er dachte an das Geld, welches ihm von den Goldstücken, welche der Fürst von Befour ihm geschenkt hatte, übriggeblieben war, und fragte:
    „Herr Seidelmann, nennen Sie das nicht Wucher?“
    „Wucher? Was fällt Ihnen ein! Was verstehen Sie unter Wucher?“
    „Wenn ein Gläubiger mehr Zinsen nimmt, als er menschlicherweise nehmen sollte!“
    „Die Bibel gebietet dem gläubigen Christen, mit seinem Pfunde zu wuchern! So lautet es wörtlich!“
    „Diese Stelle ist anders zu deuten!“
    „Davon verstehen Sie nichts. Die Bibel kann nur von einem frommgläubigen Theologen ausgelegt werden. Ich frage nochmals, ob Sie bezahlen können?“
    „Und wenn ich es nicht kann?“
    „So werden Sie exmittiert, zu deutsch hinausgeworfen.“
    „Herr Vorsteher! Ich möchte fragen, ob das christlich ist?“
    „Ärgert dich dein Auge, so reiße es aus! Ärgert dich deine Hand, so haue sie ab! Sie geben, indem Sie Liebesgedichte lesen und den Zins nicht zahlen, dem ganzen Haus ein Beispiel des Ärgernisses. Meine Pflicht als Vorsteher, Christ und Administrator gebietet mir, dieses Ärgernis zu beseitigen. Sehen Sie, Ihre Augen blitzen und Ihre Lippen zucken vor unchristlicher Wut, von sündhaftem, teuflischem Grimm! Und doch gebietet der heilige Apostel: Kindlein, liebet Euch untereinander! Sie aber sind Beelzebub verfallen. Sie sind ein Kind der Augenlust, der Fleischeslust und des hoffärtigen Wesens. Gehen Sie in sich! Versuchen Sie die Beichte, und bitten Sie den Alliebenden dabei auf Ihren Knien um Gnade und Barmherzigkeit.“
    Robert stand da, ganz starr vor Erstaunen.
    „Sehen Sie“, fuhr der Vorsteher fort, „wie die Wahrheit meiner Worte auf Sie wirkt? Sie ist wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt. Sie stehen da wie Lots Weib, als es sich umblickte nach dem Feuer, welches Sodom und Gomorrha verschlang. Auch Sie leben in einem Sodom und wandeln in dem Gomorrha der Üppigkeit und der unlauteren Liebe, die in frechen Liedern besungen wird. Wollen Sie nicht, daß auch auf Sie Feuer und Schwefel herniederregne, so tun Sie beizeiten Buße in Sack und in Asche. Kasteien Sie Ihr Fleisch; werfen Sie die Neigung zum Mammon von sich, und versuchen Sie, ein gerechtes Leben zu führen in Ehren und Gottwohlgefälligkeit. Und fühlen Sie sich zu schwach dazu, so kommen Sie zu mir. Sie sollen in mir den Hirten finden, welcher das räudige Schaf mit der heilenden Salbe der Gnade bestreicht, damit er es wieder versammeln kann zur Herde der Gerechten und Frommen!“
    Jetzt fand Robert die Sprache wieder. Er hatte den Mann ausreden lassen und wollte nun eine scharfe Entgegnung beginnen. Aber er besann sich eines Besseren und sagte nur:
    „Herr Seidelmann, haben Sie die Güte, mir zu sagen, wieviel ich zu bezahlen habe.“
    „So ist es recht! Die wahre Frömmigkeit beginnt mit der Erfüllung der berechtigten irdischen Pflichten. Ich werde addieren.“
    „Ich werde nicht nur um die Summe bitten.“
    „Um was noch?“
    „Um die einzelnen Posten.“
    Der Vorsteher blickte ihn ganz erstaunt an.
    „Warum? Wozu?“
    „Sie haben mir meine geistlichen Schulden soeben so ausführlich hergezählt, daß es Ihnen sehr leicht sein muß, mir auch die irdischen, soweit sie den

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