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60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

Titel: 60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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er über diese ebenso freundliche, wie rätselhafte Auslassung denken sollte. Oben wartete die alte Magd auf ihn, um ihm die Tür zu öffnen. Als er eingetreten war, blieb er erstaunt stehen.
    Das Zimmer war hell mit Wachskerzen erleuchtet; die Vorhänge hatte man zugezogen. Der Tisch war mit Delikatessen und Wein beladen, und auf dem Diwan lag Judith.
    Sie hatte eine eigentümliche Tracht angelegt. War das Phantasie, oder war es die Kleidung eines jüdischen Stammes oder fernen Landes? Robert wußte es nicht zu sagen.
    Sie trug orientalische Beinkleider von durchsichtigem, rötlichem Stoff, reich in Silber gestickt, ein ebensolches Jäckchen mit Goldstickerei, tief ausgeschnitten und mit so weit aufgeschlitzten Ärmeln, daß man die prächtigen Arme bis hinauf zur Achsel verfolgen konnte. Die nackten Füße staken in Samtpantoffeln. Um das alles herum faltete sich ein weißer, außerordentlich feiner Florüberwurf, der mit goldenen Sternen besät war. In dem rabenschwarzen Haar glänzten Steine und Perlen. Der größte Schmuck desselben war die eigene Schwere und Länge. Es war in dicke Flechten gebracht, welche wie glänzende Schlangen über den Flor herniederrollten.
    Sie bemerkte den Eindruck, den sie auf ihn machte, und lächelte ihm süß entgegen.
    „Willkommen, Herr Bertram“, sagte sie, indem sie ihm die Hand vorstreckte.
    Er trat herbei, verbeugte sich etwas linkisch und ergriff dieses weiße, feine und doch so kräftige Händchen, wußte aber leider nicht, was er mit demselben machen sollte.
    „Nun!“ sagte sie. „Gefällt Ihnen diese Hand so wenig?“
    Er errötete verlegen und antwortete:
    „Oh, sie ist im Gegenteil sehr schön!“
    „Warum küssen Sie sie nicht?“
    „Muß ich das denn?“ fragte er lächelnd. Er hatte auf einmal seinen Mut wiedergefunden.
    „Müssen? O nein! So etwas tut man aus freiem Entschluß. Ein Dichter aber sollte eigentlich immer galant sein.“
    Sie entzog ihm die Hand und deutete mit derselben auf den Stuhl, welcher hart neben dem Diwan stand.
    „Nehmen Sie Platz und versuchen Sie, sich nicht zu langweilen. Wir werden während des ganzen Abends allein sein.“
    „Ah! Ihr Herr Vater und Ihre Frau Mutter kommen nicht?“
    „Nein. Ist es Ihnen Angst vor mir?“
    „Ja, wenn wir allein sind“, gestand er in galanter Aufrichtigkeit.
    „Warum?“
    „Ich habe noch mit keiner schönen Dame allein gespeist!“
    „Und ich mit keinem geistreichen Dichter.“
    „So ist unser Abend vielversprechend. Wir werden eine Doublette von Geist und Schönheit haben.“
    „Wer wird siegen und wer unterliegen?“
    „Der Geist wird unterliegen; ich fühle es bereits!“
    „Ich sehe, daß die Dichter in Wahrheit galant sein können. Leider ließen Sie mich lange warten. Ich hatte sehr viel Zeit zum Anrichten, und wir werden beginnen können. Darf ich Ihnen vorlegen?“
    „Ich nehme mein Schicksal aus Ihren Händen.“
    Sie erhob sich aus ihrer liegenden Stellung. Dadurch kam sie, trotzdem sie auf dem Diwan blieb, ganz hart neben ihm zu sitzen. Sie servierte. Ihr voller, glänzender Arm strich dabei so hart an ihm hin, daß er sogar einmal seine Wange berührte. Ihrem Haar entströmte ein süßer, eindringlicher Duft. Ihre Augen funkelten ihm verheißungsvoll entgegen; ihr Mund lächelte; ihre Lippen grüßten still, aber innig. Und wenn sie eine Kleinigkeit zum Mund führte, so war es ein Vergnügen, die Perlenreihen ihrer Zähne glänzen zu sehen. Es war klar, daß sie ihn gewinnen wollte.
    Er merkte jetzt von all den Schönheiten nichts. Er sah nur die Delikatessen, nickte fröhlich vor sich hin und sagte:
    „Speist man bei Ihnen stets so gut, Fräulein Judith?“
    „Nicht immer, sondern nur dann, wenn Dichter geladen sind.“
    „Dann sind diese Dichter wohl verpflichtet, der Tafel alle Ehre zu erweisen?“
    „Natürlich! Aber die Wirtin darf dabei nicht vergessen werden!“
    „O nein!“ lachte er heiter. „Sie soll mitessen dürfen!“
    „Oh, Sie materielle Seele!“
    „Ist das ein Lob oder ein Vorwurf?“
    „Nur das letztere.“
    „Ich dachte, nur das erstere. Die Seele ist außerordentlich abhängig von der Materie. Doch, geraten wir nicht auf dieses Gebiet, sondern bleiben wir lieber bei der Tafel.“
    Er hatte alle Befangenheit überwunden und aß wie einer, der ein Recht dazu hatte, hier am Tisch zu sitzen. Sie freute sich darüber. Sie suchte ihm das Beste heraus und legte es ihm vor. Er wurde gesprächiger und immer gesprächiger. Seine Wangen bekamen Farbe;

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