60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken
Polizist riß den Totschläger hervor und versetzte ihm einen Hieb, daß er sofort lautlos zusammenbrach.
Nicht so schnell wurde man mit dem Riesen fertig. Er hatte eine wahre Simsonsstärke.
„Kommt her, ihr Hunde!“ brüllte er. „Ihr sollt daran glauben, alle, alle miteinander!“
Er trat und schlug um sich, in der Absicht, sich Luft zu schaffen. Aber vier von ihnen hatten sich an seine Arme gehängt, damit er nicht genau zu zielen vermöge. Zwei Schüsse krachten, trafen aber keinen. Bormann schäumte vor Wut. Er kam trotz seiner herkulischen Stärke nicht von der Stelle. Die zwei, welche soeben mit Robert fertig geworden waren, traten hinzu, und nun war es um ihn geschehen. Er wurde niedergerissen und an Händen und Füßen gefesselt.
„Gott sei Dank! Das war eine Arbeit!“ sagte der Anführer. „Nun aber zum gnädigen Fräulein!“
Es wurden ihr die Fesseln und auch der Knebel abgenommen. Unterdessen waren die Bewohner des Hauses wach geworden. Sie kamen voller Angst herbei, durften aber nicht eintreten, die Eltern Fannys ausgenommen, denen der Zutritt nicht verweigert werden konnte.
Die junge Dame hatte ihre Besinnung keinen Augenblick verloren. Sie erzählte in ruhiger Weise, was geschehen war.
„Es ist einer später gekommen als der andere?“ fragte der Beamte.
„Das weiß ich nicht“, antwortete sie. „Ich habe geschlafen. Als ich erwachte, war ich bereits halb gefesselt. Und dann lag ich so, daß ich die vordere Seite des Zimmers nicht überblicken konnte.“
„Kennen Sie diesen jungen Menschen?“
„Nein.“
„Ist er einem oder dem anderen bekannt?“
Auch das war nicht der Fall.
Der Riese wußte am besten, woran er war. Er sah sich verloren. Zwanzig Jahre Zuchthaus waren ihm jetzt gewiß. Von einer weichen Stimmung seines Gemüts war jetzt keine Rede mehr, vielmehr kochte es in ihm vor Grimm und Wut über das Fehlschlagen seines Befreiungsplans. Konnte er noch auf den ‚Hauptmann‘ rechnen? Besonders zornig war er auf diesen jungen Menschen, der es gewagt hatte, ihn zu stören. Er gedachte, sich an ihm zu rächen. Jetzt wurde er gefragt:
„Sie haben Ihr Gesicht entstellt. Aber Sie geben doch zu, Bormann zu sein, den man den Riesen nennt?“
„Der bin ich“, antwortete er stolz. „Diesen Ehrennamen werde ich niemals verleugnen.“
„Aber Sie waren doch gefangen!“
„Ja, freilich.“
„Wie sind Sie herausgekommen?“
War er unglücklich, brauchten andere nicht glücklicher zu sein! So dachte er, und darum gab er zur Antwort:
„Der Schließer hat mich herausgelassen.“
„Welcher Schließer?“
„Arnold heißt er.“
„Das ist doch unmöglich!“
„Fragen Sie ihn selbst.“
„Er muß ja wissen, daß er bestraft wird und außerdem seiner Anstellung verlustig geht!“
„Ich machte ihm weis, daß ich wiederkommen und mit ihm teilen würde!“
„Das ist sehr unwahrscheinlich, wird aber genau untersucht werden. Wer ist dieser Mensch hier?“
Dabei deutete der Beamte auf Robert.
„Fragen Sie ihn selber!“
„Er war Ihr Helfershelfer? Er hat sich am Einbruch beteiligt?“
„Ja.“
„Wie kommen Sie zu ihm?“
„Das ist meine Sache!“
„Woher haben Sie die Leiter, den Revolver und die anderen Sachen?“
„Die hat mir eben der hier besorgt.“
„So scheint er trotz seiner Jugend ein ganz und gar durchtriebener Kerl zu sein!“
„Er ist gescheiter und gefährlicher als ihr alle!“
„Hm! Sie wollen also nicht sagen, wer er ist?“
„Er mag es selber sagen!“
„Ganz wie Sie wollen! Durch ein verstocktes Verhalten verbessern Sie Ihre Lage keineswegs!“
„Und Sie werden sie mir bei all Ihrer Klugheit auch nicht verschlimmern. Darauf können Sie sich verlassen.“
Diese vorläufigen Erörterungen waren also zu Ende. Jetzt wurde der Tatbestand aufgenommen, und dann konfiszierte man die Leiter nebst den anderen Gegenständen. Die Familie des Obersten war ganz außer sich vor Freude, daß alles so gut abgelaufen war, und zeigte sich den Polizisten gegenüber von aufrichtigster Dankbarkeit. Endlich wurden die beiden Gefangenen in festen Gewahrsam gebracht. Man trug sie die Treppe hinab und brachte sie sodann mittels Schlitten nach dem Gefängnis.
Der Schlag, welchen Robert erhalten hatte, war ein außerordentlich kräftiger gewesen. Der herbeigeholte Gerichtsarzt erklärte, daß er zwar nicht tödlich sei, sich vielleicht nicht einmal als sehr nachteilig erweisen werde, daß aber trotzdem der Kranke wohl einen ganzen Tag liegen könne,
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