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60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

Titel: 60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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sei.
    „Dann muß ich fort“, sagte er, sich von seinem Sitz erhebend.
    „Aber Sie kommen wieder?“ fragte sie in dringendem Ton. „Wann? Bald?“
    „Ja, bald.“
    „Übermorgen? Oder noch lieber, morgen schon?“
    „Vielleicht! Gute Nacht!“
    „Gute Nacht, Robert!“
    Sie umarmte ihn nochmals, legte ihre vollen Lippen auf seinen Mund und schob ihn dann zur Türe hinaus.
    Die Eltern waren zur Ruhe gegangen; die Dienerin mußte ihm den Ausgang öffnen. Als er auf die Straße trat, fühlte er die Kälte der rauhen Winternacht. Er war in einem Augenblick ernüchtert. Er blieb stehen, warf einen Blick auf das alte, häßliche Gebäude und auf das erleuchtete Fenster von Judiths Zimmer.
    „Hm! Ob ich wiederkomme?“ murmelte er. „Ich weiß es nicht.“
    Er ging. Daheim angekommen, fand er die Tür verschlossen. Er hatte zum Glück den Hausschlüssel mitgenommen. Als er an der Türe vorüber wollte, hinter welcher Felsens wohnten, wurde dieselbe geöffnet. Marie, seine Schwester, war es.
    „Du noch hier?“ fragte er verwundert.
    „Ja. Denke dir, der Wilhelm ist noch immer nicht da!“
    „Er arbeitet noch.“
    „Er würde uns das wissen lassen. Es muß ihm etwas begegnet sein!“
    „Man darf nicht gleich Arges denken! Warten wir noch ein Stündchen! Ist er dann noch nicht da, so gehe ich in sein Atelier und werde da erfahren, was ihn so lange zurückhält.“
    Er stieg nach oben. Die kleinen Geschwister schliefen bereits. Der Vater saß im Lehnstuhl und hustete. Er hatte es vorgezogen, in der warmen Stube zu bleiben, anstatt sich in die kalte Kammer zu legen. Dorthin begab sich Robert; aber er konnte nicht schlafen; er war noch zu sehr in Anspruch genommen von dem Erlebnis der letzten Stunden. Er ging leise auf und ab, in allerlei fremdartige Gedanken versunken.
    Dann trat er zum Fenster. Es war mit dichten Eisblumen besetzt, doch eine Stelle gab es, welche völlig frei vom Eis war. Er blickte hindurch und gewahrte Fenster da drüben, wo im Palast des Obersten das Nachtlicht brannte.
    „Welch ein Unterschied!“ flüsterte er. „Beide prächtig und strahlend, wie die Nacht der Tropen; aber die Jüdin leuchtend wie vulkanische Glut, welche Schlacken und Asche mit sich führt, und die Tochter der Aristokratie glühend in dem reinen, keuschen Glanz des Sterns, der sein Licht einer unbekannten, himmlischen Quelle entnimmt. Sie schläft! Oder sollte sie auch noch wach und munter sein?“
    Er nahm sein Fernrohr, zog es aus und öffnete das Fenster. Kaum hatte er die Gläser in die richtige Lage gebracht, so stieß er einen Laut der Überraschung aus.
    „Was ist das? Ihr Fenster ist offen! Gott, dort steht eine männliche Gestalt! Was hat das zu bedeuten?“
    Er blickte schärfer durch das Rohr und ließ es vor Schreck fallen.
    „Eine Leiter! Man bricht ein! Ich muß hinüber!“
    Er handelte in diesem Augenblick vollständig instinktiv. Er eilte hinaus in die Wohnstube, sagte kein Wort, um den Vater nicht zu ängstigen, riß das Messer, welches auf dem Tisch lag, an sich und schoß die Treppen hinab und zur Hintertür hinaus. Hier erblickte er die angelegte Leiter.
    „Die Diebe sind hier hinüber! Schnell nach!“
    Im nächsten Augenblick war er auf der Mauer und auf der anderen Seite wieder hinab. Er sah nur das offene Fenster, er bemerkte nicht, daß man hinter der Türe lauschte. Der Wein, den er heute genossen hatte, wirkte noch in seinem, eines solchen Tranks ungewohnten Körper. Er nahm das Messer zwischen die Zähne und kletterte an der Leiter empor.
    Oben angekommen, sah er die heimlich und fast unbewußt Angebetete gefesselt im Bett liegen; an dem Tischchen stand ein fremder, baumstarker, riesenhafter Kerl. Robert erwog in diesem Augenblick nicht, daß er einem solchen Menschen unmöglich gewachsen sein könne. Er sprang hinein, packte ihn und rief:
    „Zurück, Bösewicht!“
    Er hatte seine Hand erfassen und vom Tischchen zurückziehen wollen, anstatt derselben aber eine Halskette ergriffen. In diesem Augenblick aber ging die Tür auf, und eine Menge von Polizisten quoll förmlich herein. Der Riese erblickte sie und stieß einen Schrei der Wut aus. Er sah sich verloren, wenn es ihm nicht gelang, sich durchzuschlagen. Daher zog er den Revolver.
    Die Beamten waren ebenso schnell wie er. Zwei warfen sich mit möglichster Eile auf Robert. Dieser stand da, in der Linken die goldene Kette und in der Rechten das Messer. Es hatte ganz den Anschein, als ob er seinen Raub verteidigen wolle. Der eine

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