60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken
Leib unter dem Bett hervor, da mußte ich schnell zurück – die Baronin kam wieder. Sie brachte zu meinem Erstaunen Rock, Hose, Weste und Hut –“
„Einen Männeranzug?“
„Ja, auch einen Bart und allerlei Krimskrams, was ich nicht gut erkennen konnte.“
„Legte sie den Anzug an?“
„Ja. Bis sie Hose und Weste anhatte, war ich zugegen. Da aber entfernte sie sich abermals durch dieselbe Tür, und da ergriff ich schnell das Hasenpanier. Mein süßes Zöfchen hatte fürchterliche Angst ausgestanden und nahm daher einen sehr ergreifenden Abschied von mir.“
„Ahnt sie, was du bei der Baronin gesehen hast?“
„Kein Wort! Ich habe ihr gesagt, daß die Baronin schlafe.“
„Recht so! Die Baronin will heimlich ausgehen.“
„Als Mann verkleidet!“
„Sicher. Wenn ich richtig vermute, so beabsichtigt sie, den Stein in Geld umzuwandeln.“
„Ah! Das ist allerdings sehr wahrscheinlich! Aber zu wem wird sie gehen?“
„Das eben will ich beobachten. Dabei aber gibt es noch zu überlegen. Durch die erleuchteten Korridore kann sie nicht gehen, da sie sich nicht sehen lassen darf.“
„Allerdings. Ich vermute, daß sie das Gebäude durch das hintere Pförtchen verlassen wird.“
„Kennst du dasselbe?“
„Die Zofe sprach davon. Sie sagte, daß man durch das Pförtchen in die Gemächer des Barons gelangen könne.“
„Gut, gut! Ich werde also an dieser Pforte Posten fassen. Du bleibst hier. Kommt die Baronin ja hier heraus, so holst du mich sofort, aber ohne dich von ihr sehen zu lassen. Ich stehe an dem Tor, dem Pförtchen gegenüber.“
„Und wenn die Gnädige durch die Pforte kommt, so werden Sie ihr folgen, Durchlaucht?“
„Ja.“
„Und ich? Was tue ich?“
„Du bleibst hier, bis ich zurückkehre. Es liegt mir daran, den Eingang hier nicht aus den Augen zu lassen.“
Er entfernte sich, trat um die Ecke des Palastes und begab sich nach der dem Pförtchen gegenüberliegenden Straßenseite. Dort gab es ein tiefes, dunkles Haustor, unter welchem der Fürst Posten faßte, um die Pforte zu beobachten.
Er hatte noch nicht lange da gestanden, als er drüben ein leises Geräusch vernahm. Die Pforte öffnete sich und wurde wieder zugemacht. Die Gestalt eines Mannes war zu sehen, der erst zu lauschen schien, dann aber sich rasch entfernte.
Auch der Fürst setzte sich sofort in Bewegung. Er folgte der Gestalt, sich stets im Schatten haltend, so daß er nicht bemerkt werden konnte. Er nahm sich sehr in acht, sie nicht aus den Augen zu verlieren, und er war auch wirklich so glücklich, die Tür zu erspähen, hinter welcher sie verschwand.
Das war in der Wasserstraße bei dem Juden Salomon Levi.
Die Tür war verschlossen, wie immer. Die Baronin hatte also klopfen müssen, bis die Nase der alten Rebekka sich sehen ließ.
„Wer ist da?“ fragte sie durch die Türspalte.
„Ein Käufer“, antwortete Ella, indem sie sich bestrebte, ihrer Stimme einen männlichen Klang zu geben.
„So spät wird nichts verkauft!“
„Still, Rebekka! Ihr werdet doch ein Geschäft mit mir machen, und zwar ein sehr gutes!“
„Wie?“ fragte die Alte. „Der Herr kennt mich? Er nennt mich bei meinem Namen Rebekka? Er spricht von einem Geschäft, welches werden wird sehr gut?“
„Ja. Ist Salomon Levi zu Hause?“
„Er ist daheim, um zu flicken alte Gewänder, welche er hat gekauft mit Löchern und aufgegangenen Nähten.“
„So mache auf. Ich muß zu ihm!“
„Haben Sie die Gewogenheit, zu treten herein! Ich werde Sie bringen zu meinem Manne in sein Comptoir.“
Die Alte führte den scheinbar jungen Herrn zu dem Juden, welcher sich in dem zweiten Raum befand, demselben, in welchem Judith in Robert Bertram den Dichter erkannt hatte.
Salomon Levi war verwundert, zu so später Stunde noch jemand bei sich zu sehen.
„Was verschafft mir die Ehre?“ fragte er neugierig.
„Ich will allein mit Ihnen sein“, antwortete die Baronin, indem sie sich möglichst im Schatten hielt.
„Rebekkchen, gehe, dich zu entfernen, bis ich rufe, damit du wiederkommst, um zurückzukehren!“
Die Alte ging. Da langte die Baronin in die Tasche, zog den Stein hervor, reichte ihn dem Juden hin und fragte:
„Was ist das?“
Er nahm den Stein in die Hand und hielt ihn an das Licht, um ihn zu betrachten. Erst schüttelte er den Kopf; dann setzte er eine schärfere Brille auf und trat mit dem Licht in eine Ecke, wo er, der Baronin den Rücken zukehrend, irgendwelche Manipulation vornahm, von der sie aber nichts sehen
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