60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken
nach Mitternacht ein eigentümlicher Schein in seine Stube gedrungen. Er erhob sich vom Lager, blickte durch das Fenster und sah, daß in der Richtung nach Schloß Hirschenau ein bedeutendes Feuer sein müsse. Sollte Hirschenau selbst brennen? Er zog sich eiligst an, zog sein Pferd hervor und ritt, ohne erst zu satteln, davon.
Jetzt erfuhr er, daß seine Cousine noch nicht aus der Residenz zurückgekehrt, sein kleiner Cousin aber verbrannt sei. Er tat, als ob dieser Schlag ein entsetzlicher für ihn sei. Er sprengte wie ein Wütender um das brennende Schloß herum. Da, als er grad an einer Stelle hielt, an welcher sich wenig Menschen befanden, hörte er sich angerufen:
„Ein böses Unglück, Herr Baron!“
Er blickte sich um und erkannte den Schmied.
„Ah, Sie sind es!“ meinte er. „Wann ist es ausgebrochen?“
„Kurz nach Mitternacht. Wir saßen bei mir bei den Karten.“
„Alles, alles verloren!“
„Viel, sehr viel gewonnen!“
Das erregte die Aufmerksamkeit des Barons.
„Was denn gewonnen?“ fragte er.
„Die ganze Freiherrschaft Helfenstein. Der junge Baron ist ja verunglückt.“
„Kommen Sie einmal näher!“
Der Schmied trat ganz nahe zu dem Pferd heran. Der Baron sagte in gedämpftem Ton:
„Das ist ein Zufall! Nun ist das Verabredete nicht nötig.“
„Wieso?“
„Na, Sie wissen ja! Wie steht es mit dem Wechsel?“
„Den habe ich.“
„Nun brauche ich ihn aber nicht einzulösen, da Sie nichts getan haben, um die Summe zu verdienen.“
Da legte der Schmied die Hand an den Hals des Pferdes und fragte:
„Wieso? Nichts getan? Habe ich mich nicht verpflichtet, zu schweigen? Habe ich nicht versprochen, den Knaben –“
„Pst! Pst! Nicht so laut! Vorsichtiger! Für beides habe ich Ihnen den Wechsel gegeben. Sie haben aber nur zu schweigen gebraucht; das andere hat der Zufall getan; folglich haben Sie nur die Hälfte verdient.“
„Der Zufall? Kennen Sie diesen Zufall vielleicht?“
„Nun?“
„Er steht hier vor Ihnen! Ich war dieser Zufall!“
„Was! Mensch, Sie haben das Schloß in Brand gesteckt?“
„Ja.“
„Warum? Weshalb?“
„Um den Knaben spurlos verschwinden zu lassen.“
„Konnten Sie das nicht auf andere Weise tun? Sehen Sie nicht ein, welche Verluste ich erleide, welcher Teil des Erbes mir verlorengeht. Ich kann Sie zur Bestrafung bringen!“
Der Baron war wirklich im höchsten Grad zornig; der Schmied aber bewahrte seine Ruhe und antwortete:
„Wie es scheint, wissen Sie nicht, daß alles, das Bewegliche und das Unbewegliche, versichert ist. Sie werden sich das neue Schloß ganz nach Ihrem Geschmack aufbauen können. Was aber mich betrifft, so unternehmen Sie es um Gottes willen nicht, mir zu drohen. Das würde nur zu Ihrem Unglück sein.“
Nach diesen Worten verschwand er unter den flackernden Schatten, welche das Feuer warf.
Der Baron stieg jetzt von seinem Pferd, um sich in Ruhe zu orientieren. Er fand die Bewohner des Schlosses an einer Stelle versammelt. Auch Ella war da, welche zu gleicher Zeit mit ihm zurückgekehrt war, da ihre Herrin ihrer nicht bedurft hatte. Als sie ihn erblickte, kam sie ihm sofort entgegen.
„Welch ein Glück, mein Lieber, dich zu sehen!“ meinte sie halblaut. „Kennst du schon den glänzenden Zufall, welcher sich ereignet hat?“
„Welchen Zufall meinst du?“
„Den Tod des Knaben. Er ist verunglückt.“
„Ich weiß es!“
„Wirklich? Was denkst du davon?“
„Was soll ich denken?“
„Dasselbe, was ich denke!“ antwortete sie mit Betonung.
„So? Nun, was denkst denn du?“
„Du sagst, daß du es weißt, daß der Knabe verunglückt ist?“
„Ja.“
„Du hast dies aber bereits früher gewußt!“
Es war ihm, als ob er eine Ohrfeige erhalten habe.
„Ich möchte doch wissen, wie du das meinst!“ sagte er rauh.
„Das will ich dir ganz aufrichtig sagen: Dieses Feuer ist dein Werk; nicht anders ist es.“
„Mädchen! Bist du toll?“
„Nein, mein Herz! Ich verstehe nur außerordentlich gut, in deiner Seele zu lesen. Der Knabe mußte weg sein!“
„Aber ich war ja gar nicht hier!“
„Das ist allerdings sehr richtig; doch derjenige war hier, der von dir den Auftrag erhielt, den er so ‚feurig‘ ausgeführt hat.“
„Schweig! Du redest mich ja in das Verderben!“
„O nein! Du bist der Satan, und ich bin deine Teufelin. Ich freue mich dieses Feuers, denn ich werde nun nicht bloß eine Baronin, sondern sogar eine sehr reiche Baronin sein. Hätten wir nicht Zeugen zu
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