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60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

Titel: 60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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einer weniger erleuchteten Stelle des Bahnhofs aufzustellen. Er wollte nicht in das Wartezimmer treten. Er hatte, um Brandts ganz und gar sicher zu sein, diesem eine starke Schnur um den Leib gebunden und hielt die Enden derselben in der Hand. Aber trotz dieser doppelten Fesselung überkam es ihn doch wie eine nicht ganz leichte Sorge. Der Gefangene hatte im höchsten Zorn gesagt, daß er den äußersten Widerstand leisten und jede Gelegenheit zur Flucht ergreifen werde. Er trug zwar die Handschellen und war an die Schnur befestigt; aber was konnte nicht unterwegs im stillen, einsamen Coupé passieren. Brandt konnte wenigstens einen Angriff, einen Fluchtversuch wagen, und wenn derselbe auch nicht gelang, so war es für den Wachtmeister doch leicht möglich, eine Verletzung davonzutragen.
    Und wer ist allwissend? Wie viele und wie ungeahnte Fälle konnten eintreten, welche dem Gefangenen günstig waren, während der Beamte ihnen ungerüstet gegenüberstand!
    Ja, wenn ein starker und zuverlässiger Mann zu finden wäre, welcher sich erbitten ließ, die Reise in solcher Gesellschaft zu machen!
    Kam dieser Gedanke infolge der vorherigen Überlegungen? Kam er unwillkürlich? Oder war er eine indirekte Folge des Umstandes, daß ein starker Herr langsam auf dem Perron hin und her schritt und zuweilen, scheinbar ohne sie nur zu bemerken, an den beiden vorüberging? Der Wachtmeister konnte sich diese Frage nicht beantworten; aber als der Fremde wieder ganz nahe gekommen war, trat er mehr instinktiv als infolge eines klaren Entschlusses einen Schritt auf ihn zu und sagte:
    „Entschuldigung, mein Herr! Wohin fahren Sie?“
    „Nach Blankenwerda“, lautete die rasche, kurz entschlossene Antwort.
    „Ah, das ist auch meine Richtung! Dritter Klasse, wenn ich fragen darf?“
    „Dritter!“
    „Haben Sie Reisekollegen?“
    „Nein.“
    „Erlauben Sie, mich Ihnen vorzustellen! Ich bin Wachtmeister beim königlichen Landgericht.“
    „Ich bin Viehhändler, mein Herr, habe aber auch als Wachtmeister gedient, nämlich bei den Kürassieren.“
    „So sind wir ja sozusagen Kollegen. Wollen wir uns nicht während der Fahrt einander anschließen?“
    „Warum nicht! Wer ist der andere Herr?“
    „Oh, der zählt jetzt nicht mit! Ich habe ihn in einer Strafprozeßsache zu transportieren.“
    „Donnerwetter! Also ein Gefangener! Schöne Gesellschaft!“
    „Ich hoffe, daß Sie Ihre Einwilligung nicht zurücknehmen.“
    „Eigentlich sollte ich! Aber weil ich stets gern ein Mann von Wort bin, so mag es dabei bleiben. Aber Sie nehmen wohl ein geschlossenes Coupé?“
    „Ich muß!“
    „Na, mir auch recht. Wer einmal A gesagt hat, muß auch B sagen; das ist so der Weltlauf.“
    Als sie später im Coupé beisammen saßen, wünschte sich der Schmied im stillen Glück. Er hatte erst den Plan gehabt, ein nahes Coupé zu nehmen und während der Fahrt durch das Tunnel mittels des Trittbrettes in das gegenwärtige zu gelangen. Im Finstern, hatte er gehofft, war der Wachtmeister ja sehr leicht zu übermannen. Jetzt war es ihm leichter gemacht. Er ahnte, daß der Wachtmeister eine heimliche Furcht vor dem Gefangenen habe und daher auf den Gedanken gekommen sei, einen kräftigen Passagier zu sich her einzuladen.
    „Das heißt den Bock zum Gärtner gemacht!“ brummte er vergnügt in sich hinein.
    Da der Tag noch nicht angebrochen war, befand sich eine Lampe in dem Wagen, welche einen matten Schimmer um sich warf. Bei diesem unzulänglichen Schein betrachtete Brandt den Fremden. Die Stimme desselben war ihm so bekannt, so heimatlich vorgekommen, aber er mochte sinnen, wie er wollte, er kam nicht auf die richtige Spur.
    Erst als es Tag geworden war und auch Kleinigkeiten besser gesehen werden konnten, betrachteten sich die drei Passagiere genauer. Der Schmied hatte sich klugerweise neben den Wachtmeister gesetzt, dessen Auge also nicht für stets auf ihn gerichtet sein konnte. Er sah, daß das Auge des Gefangenen nachdenklich und immer nachdenklicher wurde. Er ahnte, daß er ihm bekannt vorkomme, und beschloß, ihm einen Wink zu geben. Er wartete einen Augenblick ab, an welchem der Wachtmeister sich abgewendet hatte, um zum Fenster hinauszublicken, und sagte, allerdings unhörbar, aber so, daß ihm die langsam konstruierten Worte von den Lippen gelesen werden konnten:
    „Wolf – der – Schmied!“
    Brandt hatte ihn scharf angesehen und die Worte deutlich von dem Mund des Sprechers weggenommen. War es möglich? Wolf, der Schmied aus

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