Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

Titel: 60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
noch ergriffen werden!“
    „Warum sollte der Zug mitten im Wald halten?“
    „Ich habe dafür gesorgt. Ich bin nämlich nicht allein hier, sondern wir haben noch einen Kameraden, welcher den Zug anhalten wird. Ah, hören Sie! Jetzt!“
    Die Dampfpfeife stieß das bekannte, schrille, markerschütternde Warnungssignal aus. Sofort kreischten die Bremsen und Räder, und der Zug kam nach und nach zum Stehen. Der Maschinist hatte den Stein keinen Augenblick zu früh gesehen, denn er lag kaum drei Fuß von den Vorderrädern der Lokomotive entfernt auf der Schiene.
    „Was ist's? Was gibt's? Was ist geschehen?“ schrie, rief und fragte es aus den Fenstern, welche alle geöffnet wurden. Die Schaffner konnten es nicht verhindern, daß sich die Passagiere die Türen selbst öffneten und aus den Wagen sprangen. Der Zug hatte sich in der Zeit von einer halben Minute entleert.
    Alles eilte nach vorn. Niemand gab acht auf die beiden Männer, die zunächst ganz dieselbe Richtung einschlugen.
    Der Schmied hatte gedacht, daß sie eine förmliche Flucht zu ergreifen haben müßten, da aber der Wachtmeister noch immer nicht erwachte und alles nach vorn drängte, so stieg er ganz gemächlich aus und sagte zu dem ihm ebenso langsam folgenden Brandt.
    „Ah, das gibt einen Hauptspaß. Kommen Sie! Wir werden verfolgen, anstatt verfolgt zu werden!“
    Er schritt rasch zur Lokomotive. Dort angekommen, erblickte er den Stein, blickte suchend zwischen die Bäume und rief sodann mit seiner Stentorstimme, welche die anderen übertönte:
    „Einen Stein auf die Schienen gelegt? Donnerwetter! Wir konnten da alle kapores sein! Wer hat das getan? Ah, Donnerwetter, steht dort nicht ein Kerl zwischen den Bäumen? Wart, Bursche, du sollst herkommen!“
    Er sprang vorwärts, mit dem Eifer eines Menschen, welcher einen anderen fangen will.
    „Ja, dort steht er! Jetzt reißt er aus!“
    Mit diesen Worten eilte Brandt hinter ihm her. Alles, was Beine hatte, folgte ihnen; nur die Beamten blieben bei ihren Posten zurück. Der Stein wurde auf die Seite geschafft, und da kehrten auch die begeisterten Verfolger zurück, zunächst die Frauen und Kinder und sodann auch die männlichen Passagiere. Einer nach dem anderen. Keiner aber hatte den Täter gesehen.
    Der Zugführer fluchte und wetterte; es war weit über eine Viertelstunde Zeit versäumt worden. Das mußte schleunigst wieder eingeholt werden, um die fahrplanmäßigen Minuten einhalten zu können.
    „Einsteigen, schnell einsteigen!“ ertönte es aus den Kehlen der Schaffner, denen auch nichts an einer Verspätung lag.
    Die Wagen füllten sich wieder, kein Passagier war mehr außerhalb derselben zu sehen. Die Türen wurden zugeschlagen, ohne daß man sich genau überzeugte, ob ein jeder in sein richtiges Coupé zurückgekehrt sei. Der Pfiff der Lokomotive erscholl, der Zugführer antwortete.
    „Fertig!“ ertönte das Kommando.
    Die Räder setzten sich langsam wieder in Bewegung, drehten sich schneller und schneller um ihre Achsen, und bald hatte der Zug eine gesteigerte Geschwindigkeit als vorher, ehe er zum Halten gezwungen wurde. Der Stein des Anstoßes war überwunden.
    In den nächsten Stationen kamen und gingen die Passagiere. Als der Zug den letzten Anhaltepunkt vor Felsenberg hinter sich hatte, kletterte der Schaffner am Trittbrett daher, öffnete eines der Fenster und rief hinein:
    „Billets nach Felsenberg!“
    Er wußte genau, daß ein Beamter mit einem Gefangenen hier Billets nach der Zuchthausstadt gehabt hatte und daß bei beiden ein Herr gesessen hatte, welcher noch weiter, nach Blankenwerda wollte. Aber keine Antwort ertönte. Er steckte den Kopf zum Fenster hinein und sah – einen gefesselten und geknebelten Menschen auf der Bank liegen. Er wollte während des Fahrens die Tür öffnen, aber da ertönte bereits der Signalpfiff. Der Zug hatte Felsenberg erreicht. Als er anhielt, machte der Schaffner sofortige Meldung. Alles eilte herbei. Man fand – einen Beamten, welcher einen Gefangenen nach dem Zuchthaus hatte bringen sollen, jetzt aber selbst gefesselt, aus dem Coupé gehoben wurde. –
    Als der Schmied und Gustav Brandt den Wald erreichten, waren ihnen die anderen gefolgt, aber nicht mit der gleichen Schnelligkeit. Bereits nach drei Minuten blieb Wolf stehen, stemmte die kräftigen Fäuste in die Seiten und stieß ein lautes Lachen aus.
    „Donnerwetter!“ rief er aus. „War das nicht ein wahrer Geniestreich, mein Lieber? Den macht uns nicht sogleich ein anderer nach! Sind

Weitere Kostenlose Bücher