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60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

Titel: 60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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kann, so bin ich gern bereit dazu.“
    „O bitte, nur eine Zeile im Kuvert dem Förster durch den Kutscher hier übergeben zu lassen!“
    „Ich selbst werde es ihm übermitteln, mein Herr!“
    „Dann erlauben Sie!“
    Er zog ein Täschchen hervor, schrieb einige Worte auf eine der darin enthaltenen Karten, steckte dieselbe in ein dazu passendes, kleines Kuvert, welches sich bei den Karten befand, verschloß dasselbe und gab es ihr.
    „So, meine Dame! Darf ich danken?“
    Er ergriff das Händchen, welches sein Kuvert an sich genommen hatte, bog sich wo weit wie möglich zum Wagen nieder und zog es an seine Lippen. Er küßte die Hand ein, zwei, drei Male, drängte dann sein Pferd vorüber und trabte davon.
    Ihr war gar eigentümlich zumute geworden. Wie konnte dieser Fremdling es wagen, dreimal zu küssen?
    Der Kutscher hatte jetzt Platz und fuhr weiter. Als das Geschirr bei dem Forsthaus anhielt, trat der Förster aus der Tür. Er sah gar nicht so aus wie ein Mann, der so schlimmes erlebt hat und dem ein neues Unheil droht, so heiter sah er aus. Er half ihr beim Aussteigen. Sie gab ihm ihre beiden Hände und sah ihm bittend in die Augen, indem in die ihrigen die Tränen traten.
    Er nickte ihr gütig zu und sagte:
    „Ich weiß; ich weiß. Kommen Sie nur herein, Baronesse!“
    Drin kam ihr auch die Försterin entgegen, um ihr die Hand zu geben. Wie oft war sie in diesem Haus, in diesem Stübchen gewesen, und welches Glück hatte – aber zu solchen Reflexionen gab es jetzt keine Zeit! Sie wendete sich an die beiden Alten und sagte:
    „Papa und Mama Brandt, ich komme, um Ihnen eine Nachricht zu bringen, welche zugleich gut und auch schlimm ist. Nämlich Gustav ist entflohen, und man wird kommen, ihn hier zu suchen!“
    Das Ehepaar tat gar nicht so erschrocken, wie sie es erwartet hatte. Der Förster antwortete einfach:
    „Sie mögen nur immer kommen!“
    „So haben Sie wohl gar keine Angst? Ich bin erst vor Schreck halb tot gewesen, und dann aber sogleich herbeigeeilt, um Sie zu warnen, damit er nicht hier ergriffen wird!“
    „Mein Kind, wie können Sie erschrecken! Sie haben ihn ja für schuldig gehalten, und ein Schuldiger verdient kein Mitleid!“
    Da warf sie sich der Försterin um den Hals und schluchzte:
    „Vergib mir! Oh, ich war betört; ich war bös, sehr bös! Aber ich sehe ein, daß ich unrecht gehandelt habe. Ich habe eingesehen, daß er unschuldig ist und daß ich ihn in das Verderben stürzte.“
    „Nun, so schlimm ist es denn doch wohl nicht!“
    „Oh, der König sagte es auch!“
    „Er wird wohl seine Absicht dabei gehabt haben. Sicher ist, daß der Verdacht auch ohne Sie auf Gustav gefallen wäre.“
    „Oh, ich war so froh, als ich hörte, daß es ihm gelungen ist, zu entkommen. Er wird sicherlich zuerst die Eltern aufsuchen, und dann, ja dann ist er verloren!“
    „Das wollen wir abwarten! Aber was ist das in Ihrer Hand?“
    „Ich begegnete einem Reiter, einem Fremden, welcher mich bat, dieses Kuvert dem Förster von Helfenstein zu geben. Der Mensch wagte es, mir dreimal die Hand zu küssen!“
    Die beiden Leute lächelten einander an. Der Förster nahm das Kuvert, öffnete es, warf einen Blick auf die Karte und gab sie ihr dann zurück.
    „Lesen Sie selbst!“ sagte er.
    Sie las. Auf ihrem Gesicht wechselte die Röte mit der Blässe. Sie umarmte die Försterin abermals und rief jubelnd:
    „Er war es, er? Oh, so werden sie ihn nicht erkennen! Er wird entkommen. Und er hat mir verziehen, verziehen, verziehen!“
    Nun ging es an ein Erklären. Auf der Karte hatte gestanden:
    „Verzeiht ihr, so wie ich ihr verzeihe! Sie war und bleibt mein einziger, mein lieber, süßer Sonnenstrahl!“

DRITTES KAPITEL
    Der geheimnisvolle Hauptmann
    Der gewaltigste der Dichter und Schriftsteller ist – das Leben. Es ist weder von Shakespeare, Milton und Scott, von Dante, Tasso und Ariost, noch von Goethe, Schiller und anderen erreicht oder gar übertroffen worden. Das Leben schreibt mir diamantenem Griffel; seine Schrift ist unvergänglich, seine Logik unbestechlich, seine Charakteristik von unveränderbarer Treue, seine Schilderung hinreißend und von herzergreifender Wahrheit. Was es darstellt, ist wirklich geschehen; die Personen, welche es handelnd aufführt, haben wirklich gelebt oder leben noch. Es gibt keinen Redakteur, keinen Kritiker, keine Zensur, überhaupt keine irdische Feder, welcher es erlaubt wäre, von dem Manuskript der wirklichen Tatsachen auch nur einen Buchstaben zu

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