600 Stunden aus Edwards Leben
gleichmäßiger Geschwindigkeit, sieht sich dabei hin und wieder um und winkt mir, dass ich mitkommen soll. Ich gehe, so schnell ich kann, hole ihn aber niemals ein.
Ich empfinde diesen Traum als beruhigend und bedrohlich zugleich. Diese Gegensätze kann ich in meinem Kopf nicht in Einklang bringen, und je wacher ich werde, desto mehr verliere ich den Traum.
Es hat keinen Zweck.
Ich notiere meine Aufwachzeit, und es ist das einunddreißigste Mal in den 303 Tagen dieses Jahres (weil es ein Schaltjahr ist), dass ich um 7:40 Uhr aufwache. Meine Daten sind vollständig. Und wie mir die Uhr deutlich anzeigt, steht mir bald mein morgendlicher Termin bevor.
Ich nehme eine schnelle Dusche und genieße das heiße Wasser dabei nicht so wie sonst. Heute ist es kalt draußen, das konnte ich spüren, als ich die Bettdecke zurückschlug und aus dem Bett stieg. Wie kalt genau, weiß ich nicht und werde es vor morgen auch nicht wissen. Der
Billings Herald-Gleaner
wartet auf der Schwelle.
Ich verlasse die Dusche, trockne mich eilig ab und schlüpfe in meinen Frottee-Bademantel. Ich werde schnell noch eine Schüssel Cornflakes essen müssen. Dass ich besonders hungrig wäre, kannich nicht gerade sagen, da mein Appetit durch den bevorstehenden Termin mit meinem Vater beeinträchtigt ist. Aber ich kann ihn ebenso wenig auf leeren Magen treffen.
An der Haustür halte ich inne und hebe die Zeitung auf. Ich bin heute Morgen in Eile, aber ich kann meine Daten noch vervollständigen. Ich sehe, dass die Vorhersage für heute Schneetreiben ankündigt. Offenkundig haben der Fernsehwettermann Kent Shaw, dessen grinsendes Gesicht jeden Tag auf der Wetterseite zu sehen ist, und ich ein ähnliches Empfinden. Der Unterschied liegt darin, dass er seine Vorhersage als Tatsache konstatiert. So dumm bin ich nicht. Ich werde auf morgen und die Tatsachen warten.
Während ich durch die Zeitung blättere, esse ich ein paar Löffel voll Cornflakes. Der
Billings Herald-Gleaner
ist die einzige Zeitung in meinem Leben, die ich regelmäßig lese, und er gefällt mir, auch wenn es ein paar Dinge gibt, die mich daran stören. Ich fange nicht auf der ersten Seite an und lese dann alles nacheinander; es würde mich wundern, wenn viele Leute das tatsächlich täten, aber das kann ich natürlich nur wissen, wenn ich eine wissenschaftliche Umfrage unter den Lesern des
Billings Herald-Gleaner
machen würde, und dazu fehlt mir die Zeit.
Als Erstes gehe ich immer zur Wetterseite (das habe ich heute schon getan und die gestrigen Höchst- und Tiefsttemperaturen notiert, und meine Daten sind vollständig). Dann blättere ich zur Briefkastentante (die heutige Überschrift lautet: »Ehemann sollte mit Sekretärin Schluss machen«), und dies ist eins der Dinge, die mich an der Zeitung stören. Die Seite mit der Briefkastenkolumne befindet sich jeden Tag woanders. Manchmal ist sie ganz vorn im ersten Teil. Manchmal ist sie im Lokalteil. Und manchmal ist sie im Sportteil. Jeden Tag muss ich im Inhaltsverzeichnis auf der ersten Seite nachsehen, wo sie ist. Und das bringt mich zu einer weiteren Sache, die ich am
Herald-Gleaner
nicht mag. In der Inhaltsübersicht steht immer etwas wie »4C« oder »8A«. Die Buchstaben sagen mir überhaupt nichts. Ich will, dass der
Herald-Gleaner
mir sagt, zu welchem Teil ich blättern soll, ob es nun der Lokalteil oder der Sportteil oder die ersten Seiten sind. Dass der
Herald-Gleaner
unbedingt noch Buchstaben dazuschreiben muss, irritiert mich.
Schließlich blättere ich zu den Leserbriefen. Ich lese sie zur Entspannung, da mein Vater oft darin vorkommt – manchmal, weil der Verfasser eines Leserbriefes ihn erwähnt, positiv oder negativ, und manchmal, weil jemand aus der Redaktion des
Herald-Gleaner
über ihn schreibt, und das ist immer negativ. Mein Vater bezeichnet das Redaktionsteam des
Herald-Gleaner
als »linke Mischpoke aus Schwachköpfen, denen sie ins Gehirn geschissen haben«. Mein Vater hat hin und wieder eine kreative Art, Wörter zusammenzustellen. Soweit ich weiß, hat das Redaktionsteam des
Herald-Gleaner
meinen Vater nie mit derart gemeinen Schimpfwörtern bezeichnet, wobei ich nur vermuten kann, was die einzelnen Redakteure privat über ihn sagen, und Vermutungen mag ich nicht. Ich bevorzuge Tatsachen. Tatsache ist, dass die Redaktion des
Herald-Gleaner
meinen Vater als Landrat im Allgemeinen nicht unterstützt. Seine Meinung wird regelmäßig kritisiert, und in jedem Wahlkampf wurde sein Gegner unterstützt. Wie
Weitere Kostenlose Bücher