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600 Stunden aus Edwards Leben

600 Stunden aus Edwards Leben

Titel: 600 Stunden aus Edwards Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Lancaster
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Dr. Buckley ist eine sehr logische Frau.
    Ich werde die Glorifizierung meines Vaters durch meine Mutter nicht stören. Ihre Trauer hat eingesetzt.
    Ich frage mich, wann meine beginnen wird.

    Um 10:00 Uhr wirkt meine Mutter erschöpft und sagt, sie werde sich hinlegen. Sie bittet mich zu bleiben, und ich sage zu. Was ich auch für Pläne hatte – ich kann mich nicht erinnern, welche es waren –, sie werden nebensächlich.
    Um 11:11 Uhr, als sie tief und fest schläft, klingelt das Telefon. Ich gehe dran.
    »Ja?«
    »Hallo. Könnte ich bitte mit Maureen Stanton sprechen?«
    »Sie schläft gerade.«
    »Hier ist Matt Hagengruber vom
Herald-Gleaner
. Darf ich fragen, mit wem ich spreche?«
    »Edward.«
    »Edward Stanton?«
    »Ja.«
    »Sie sind Ted Stantons Sohn?«
    »Ja.«
    »Edward, mein herzliches Beileid zum Tod Ihres Vaters. Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich Ihnen ein paar Fragen stelle?«
    »Ja.«
    »Ich darf Sie also etwas fragen?«
    »Nein.«
    »Wäre es in Ordnung, wenn ich später noch einmal anrufe, um mit Ihrer Mutter zu sprechen?«
    »Ja.«
    »Danke für Ihre Zeit.«
    Ich lege auf.
    Den ganzen Nachmittag kommen solche Anrufe, einige von Freunden meiner Eltern (ich kenne niemanden davon), andere von Radio- und Fernsehsendern. Es sind alles Variationen von Matt Hagengrubers Anruf, und ich sage allen dasselbe: dass sie gern später wieder anrufen und fragen können, ob meine Mutter mit ihnen reden möchte.
    Die einzige Ausnahme ist die dumme Frau vom Fernsehen, die nach »Mrs STAINton« fragt. Ihr sage ich, sie solle nie wieder anrufen.Dasselbe würde ich gern Jay L. Lamb sagen, der sich um 14:58 Uhr meldet, aber ich denke, meine Mutter würde gern mit ihm sprechen. Ich schreibe seine Nachricht auf.
    Meine trauernde Mutter schläft dabei die ganze Zeit.

    Ich verbringe die Zeit zwischen den Anrufen im Arbeitszimmer meines Vaters, wo ich ein Regal voller Fotoalben finde, ab dem Jahr, als meine Eltern sich kennenlernten – lange, bevor ich geboren wurde –, bis heute. Etwas fällt mir auf: Ungefähr ab der Zeit, als ich meinen Schulabschluss an der
Billings West Highschool
machte, also 1987, fing ich an, aus den Fotoalben zu verschwinden. Ende der Neunziger, etwa während des »Garth-Brooks-Debakels«, war ich gar nicht mehr vorhanden.
    Das Familienleben der Stantons der letzten zehn Jahre, das eine Kamera eingefangen hat, besteht aus meinem Vater, meiner Mutter und ihren gemeinsamen Reisen (ich erkenne auf den Fotos unter anderem Frankreich, Ägypten und London). Edward Stanton Jr. ist nirgends zu entdecken.
    Und doch ist Edward Stanton Sr. heute tot, und ich bin in seinem Arbeitszimmer.
    Ich werde das Konzept von Ironie nie verstehen, aber diese Situation könnte dazu passen.

    Um 16:40 Uhr wacht meine Mutter auf. Sie kommt im Morgenmantel nach unten und sieht müde aus, was verständlich ist. Sie sieht auch älter aus als vor ein paar Stunden, als sie nach oben ging, was schockierend ist.
    Ich erzähle ihr von den Anrufen der Medien und dass sie sich wieder melden würden in der Hoffnung, mit ihr sprechen zu können. Sie seufzt. »Ich werde Jay eine Art Pressemitteilung verfassen lassen.«
    Ich sage ihr, dass Jay um einen Rückruf bittet.
    Ich sage ihr, dass ihre Freunde sich Sorgen machen.
    Ich sage ihr, dass es mir gut geht.
    Und ich sage ihr Auf Wiedersehen, da ich zu Hause etwas erledigen müsse.
    »Du bist ein guter Junge, Edward«, antwortet sie mir, ihrem neununddreißigjährigen Sohn. »Ich werde dich heute Abend anrufen und über alles Weitere informieren.«

    Ich dachte, ich könnte wieder atmen, sobald ich nur aus dem Haus ginge. Aber jetzt stehe ich da und warte, dass ich von der 27th Street rechts auf die 6th Avenue abbiegen kann, und bekomme immer noch nicht richtig Luft.
    An der Division Street, wo ich links abbiege, um zur Clark Avenue und nach Hause zu kommen, spüre ich, dass mir Tränen über das Gesicht laufen. Bald kann ich die Straße nicht mehr sehen.
    »Ich werde meinen Vater nicht glorifizieren«, sage ich, aber niemand ist da, um zu antworten.

    Zu Hause arbeite ich still und ruhig in der Küche und suche alle notwendigen Sachen zusammen. Sie passen in zwei Plastiktüten, die ich von einem Einkauf bei
Albertsons
vor einiger Zeit übrig behalten habe. Ich trage die Tüten aus der Küche durch die Hintertür, durch den Garten und bis zum Weg hinter dem Haus, wo ich sie in die großen Müllbehälter der Stadt werfe.
    Es sind das übrige Root Beer, der Salat im Beutel,

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