600 Stunden aus Edwards Leben
ließ er mich eine Vereinbarung unterschreiben, dass ich nie wieder etwas mit Donna Middleton zu tun haben dürfe, sonst würde ich aus dem Haus ausziehen und meine Rechnungen selbst bezahlen müssen«, erwidere ich.
»Wer ist Donna Middleton?« Meine Mutter rutscht auf ihrem Stuhl nach vorn.
»Sie ist eine Freundin. Sie wohnt mir gegenüber.«
»Du hast mit jemandem in deiner Straße Freundschaft geschlossen, Edward? Das ist ja wunderbar!«
»Ja. Wenn ich in dem Haus bleiben kann, solange ich will und unter allen Umständen, möchte ich weiterhin mit Donna Middleton befreundet bleiben. Deshalb frage ich nach der Vereinbarung.«
»Jay«, sagt meine Mutter, »was ist das für eine Vereinbarung?«
Jay L. Lamb greift in eine seiner Schreibtischschubladen und holt einen grünen Aktenordner hervor, der genauso aussieht wie die, in denen ich meine Beschwerdebriefe ablege. Er blättert darin, holt ein Blatt Papier hervor und reicht es meiner Mutter über den Tisch.
Meine Mutter liest die Vereinbarung. Einige Male klappt ihr dabei der Mund auf. Schließlich sieht sie mich an.
»Dein Vater hat dich das hier unterschreiben lassen?«
»Ja.«
»Jay«, sagt sie und dreht sich nun zu Jay L. Lamb, »was hat das alles zu bedeuten? Warum hat Ted unseren Sohn eine solche Vereinbarung unterschreiben lassen? Selbst wenn Ted ein Problem damit hatte, dass Edward mit dieser Frau Kontakt hat – und ich kann mir im Leben nicht vorstellen, warum –, was geht das dich an?«
»Mr Lamb schickt mir häufig Briefe«, sage ich.
»Das war nicht das einzige Mal?«
»Nein.«
»Jay«, sagt meine Mutter, »dann zeigst du mir jetzt besser auch die anderen Sachen.«
Nachdem sich meine Mutter durch den Ordner mit meinem Namen gearbeitet hat, zittert sie vor Wut. Sie liest Briefe, in denen mir mitgeteilt wird, ich hätte zu viel Geld ausgegeben, ich hätte mich in der Kanzlei von Jay L. Lamb einzufinden, ich hätte mich nicht richtig um das Haus gekümmert. Ich zähle achtzehn Briefe, während sie sie liest und einen nach dem anderen verächtlich auf Jay L. Lambs Schreibtisch zurückwirft.
»Ich kann es einfach nicht fassen«, sagt sie. »Wie konntest du es wagen? Wie konntest du es wagen, Jay?«
»Maureen, bitte. Ich habe auf Wunsch meines Klienten hin gehandelt.«
»Das ist doch absurd. Es ist absolut lächerlich. Ist dir nie in den Sinn gekommen, Ted zu sagen, dass er sich wie ein Idiot aufführt?«
»Maureen, er hat versucht, alle zu schützen – dich, sich selbst und natürlich Edward. Ich weiß nicht. Vieles davon erschien mir zu dem Zeitpunkt sinnvoll. Ted wollte seine Pflichten als Vater von denen als Förderer trennen.«
»Das ergibt überhaupt keinen Sinn. Dies ist sein Sohn. Wenn er mit ihm sprechen wollte, dann hätte er einfach mit ihm sprechen sollen.«
Ich habe meine Mutter noch nie so aufgebracht erlebt.
»Okay, du hast recht, Maureen.«
»Ich kann es einfach nicht fassen«, wiederholt sie kopfschüttelnd. »Ich kann nicht fassen, dass so etwas passiert ist und ich nichts davon wusste.«
Schließlich beruhigt sich meine Mutter wieder und entschuldigt sich sogar bei Jay L. Lamb. »Ted hat eine Menge dumme Sachen gemacht, die er nicht hätte tun sollen, und ich schätze, ich habe auch versagt, indem ich von einigen keine Ahnung hatte. Ich sehe ein, dass du nur deinen Job gemacht hast, Jay. Aber hör mir zu: nie wieder! Du tust, wofür diese Familie dich bezahlt. Und wenn es etwas zu besprechen gibt, werde ich mit Edward sprechen. Verstehst du mich?«
»Ja, Maureen.«
»Schön. Edward, wir gehen.«
Wir sind schon fast an der Tür, als Jay L. Lamb sagt: »Ach, eins noch – das hätte ich beinahe vergessen … Edward, das ist für Sie.«
Jay L. Lamb gibt mir einen Umschlag, auf dem vorn mein Name steht: »Edward«.
»Was ist das?«
»Der ist von Ihrem Vater. Lesen Sie ihn, wenn Sie zu Hause sind.«
Weil mir nicht gefällt, dass Jay L. Lamb mir sagt, was ich tun soll – tatsächlich hat meine Mutter ihn gerade angewiesen, dies nicht mehr zu tun –, warte ich nur bis zum Parkplatz, bis ich den Brief meines Vaters öffne. Ich drehe den Zündschlüssel gerade so weit, dass die Stereoanlage angeht, und es ertönt eines meiner Lieblingslieder von der R.E.M.-CD, die ich im CD-Spieler habe.
Ich ziehe den Inhalt des Umschlags hervor: ein zweiseitiger handgeschriebener Brief meines Vaters, in seiner präzisen Blockschrift, die ich als Kind immer nachzumachen versucht habe. Ich habe es nie
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