61 Stunden: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
wiederum bedeutet, dass ich seit gestern Nachmittag vier Uhr keinen Lohn mehr kriege.«
»Nicht so gut.«
»Sie sollten was wegen dieser verdammten Brücke tun.«
»Haben Sie Ihre Passagiere wiedergesehen?«
»Die sind hier und dort verstreut. Eine trägt den Arm in der Schlinge, und eine andere hat das Handgelenk eingegipst. Aber im Allgemeinen meckern sie nicht zu sehr herum. Ich glaube nicht, dass jemand schon einen Anwalt angerufen hat. Einige nehmen die Sache sogar von der positiven Seite, als wäre dies eine Magic Mystery Tour.«
»Nicht so übel«, wiederholte Reacher.
Knox gab keine Antwort. Stand nur ruckartig auf, nahm Sachen von einem Wandhaken, setzte eine Wollmütze auf, wickelte sich einen Schal um den Hals und zwängte sich in eine dicke Jacke – den Größen und Farben nach zu schließen alles geliehen. Er nickte Reacher kurz zu – ein missmutiges Lebewohl – und verließ das Lokal.
Die Bedienung kam an den Tisch, und Reacher bestellte das größte Frühstück auf der Karte.
Und eine Kanne Kaffee.
10.55 Uhr.
Noch einundvierzig Stunden.
Der Anwalt ließ seine Aktentasche im Büro, aber er nahm die Überschuhe in ihrer Plastiktüte mit. Nachdem er sie in der Eingangshalle angezogen hatte, ging er über den Parkplatz zu seinem Wagen. Er schnallte sich an, startete den Motor, schaltete die Sitzheizung und die Scheibenwischer ein. Er wusste, dass die Interstate weiter gesperrt war. Aber es gab Ausweichrouten. Lange, schnurgerade Straßen, die in South Dakota bis zum Horizont reichten.
Er streifte die Überschuhe ab, trat aufs Bremspedal und stellte den Wählhebel auf Drive .
Reacher hatte sein Riesenfrühstück etwa zur Hälfte verspeist, als Peterson hereinkam. Klar war, dass Reacher davon beeindruckt sein sollte, wie leicht Peterson ihn gefunden hatte. Was Reacher vielleicht gewesen wäre – oder auch nicht –, wenn er gewusst hätte, wo Peterson ihn schon überall gesucht hatte.
Peterson legte eine Hand auf die Lehne des Stuhls, auf dem Knox gesessen hatte. Reacher forderte ihn mit einer Bewegung seiner vollen Gabel auf, Platz zu nehmen. Peterson setzte sich und sagte: »Tut mir leid, dass Sie bei uns kein Frühstück bekommen haben.«
Reacher kaute, schluckte und erwiderte: »Kein Problem. Sie sind ohnehin sehr großzügig.«
»Kim leidet unter der Einsamkeit. Es ist nicht ihre liebste Zeit, wenn die Jungen und ich das Haus verlassen. Sie verkriecht sich meist in ihrem Zimmer.«
Reacher schwieg.
Peterson antwortete: »Sind Sie schon mal einsam gewesen?«
Reacher sagte: »Manchmal.«
»Kim würde sagen, dass Sie nicht wissen, was Einsamkeit ist. Erst wenn Sie in South Dakota Tag für Tag auf einer Veranda hinter dem Haus gesessen, sich umgeschaut und in hundert Meilen Umkreis nichts gesehen haben.«
»Ist sie nicht von hier?«
»Doch. Aber auch was man seit Langem kennt, braucht man nicht zu mögen.«
»Vermutlich nicht.«
»Wir haben die Bars überprüft und eine mit frisch gescheuertem Fußboden gefunden.«
»Wo?«
»Norden. Wo die Gefängniswärter abends hingeh’n.«
»Auskunftswillige Zeugen?«
»Nein, aber der Barkeeper ist verschwunden. Gestern mit seinem Pick-up abgehauen.«
»Okay«, sagte Reacher.
»Danke«, sagte Peterson.
»Nichts zu danken.« Reacher spießte einen halben Dotter und ein Stück Schinken auf und schob beides in den Mund.
»Ist Ihnen sonst noch was eingefallen?«, fragte Peterson.
»Ich weiß, wie der Mann, den Sie eingelocht haben, Verbindung zu seinen Leuten hält.«
»Wie?«
»Er hat drinnen einen Freund gewonnen. Oder sich jemanden gefügig gemacht. Ihr Kerl bläut dem zweiten Kerl ein, was er sagen soll, und der zweite Kerl erzählt es seinem Anwalt. Sie überwachen das falsche Sprechzimmer.«
»Anwaltsbesuche gibt es jeden Tag zu Dutzenden.«
»Dann sollten Sie anfangen, alle zu überprüfen.«
Peterson schwieg einen Augenblick. »Sonst noch was?«
Reacher nickte. »Ich brauche einen Laden für Herrenkleidung. Das habe ich Ihrer Frau mehr oder weniger versprochen. Billig und nicht zu modisch. Gibt’s hier einen, der solche Sachen verkauft?«
Das Bekleidungsgeschäft, das Peterson ihm empfahl, lag einen langen Block westlich des Stadtplatzes. Es führte strapazierfähige Kleidung für kernige Farmer. Es gab Sommer und Wintersachen, die sich äußerlich nicht viel voneinander unterschieden. Die meisten Artikel stammten von unbekannten Herstellern, aber es gab auch bekannte Marken – alles zweite Wahl mit sichtbaren Mängeln.
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