616 - Die Hoelle ist ueberall
ist es. Alles völlig korrekt – der Standort und die Signatur somit ebenfalls. Es ist das Buch, das ich dir vor ein paar Tagen am Telefon genannt habe.«
Gracia glaubte selbstverständlich, das Buch, das Cloister bestellt hatte, sei auch, wonach er gesucht hatte. Doch irgendetwas stimmte hier offensichtlich nicht.
»Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, was du damit meinst, wenn du sagst, es ist nicht das, wonach du gesucht hast. Was willst du denn finden? Es ist hoffentlich nichts streng Geheimes aus deinen Ermittlungen, was du mir nicht sagen darfst?«
»Ehrlich gesagt doch. Dieses Buch«, sagte Cloister, nahm es aus dem Regal und blätterte es durch, »hilft mir nicht weiter. Ich bin verwirrt.«
»Ich kann mir auch schlecht vorstellen, dass deine Ermittlungen einem diplomatischen Empfang von vor vierhundert Jahren gelten. Aber wenn du mir nicht mehr erzählst, kann ich dir wahrscheinlich nicht helfen.«
Cloister hatte das Buch ins Regal zurückgestellt. Ein Da-tum hatte sich ihm eingeprägt, wenn auch noch unbewusst. Es war das Jahr, in dem das Buch gedruckt worden war: 1616.
»Diesmal möchte ich dich da nicht hineinziehen, mein Freund. Ich hatte gedacht, das Buch könnte mir weiterhelfen.«
»Na gut. Ich werde dich nicht bedrängen. Aber kann ich sonst irgendetwas für dich tun?«
Der Priester antwortete nicht. Sein Blick war soeben auf den Titel des Werkes direkt neben dem von ihm bestellten gefallen, und der hatte ihm die Sprache verschlagen. Das Buch war ganz ähnlich, beinahe identisch ausgestattet. Tatsächlich waren die Bücher nicht nach Epochen oder inhaltlichen Gesichtspunkten sortiert – außer bei Bänden von großem historischen oder künstlerischem Wert –, sondern nach Größe. Das Buch rechts von dem von Cloister bestellten trug einen Titel, der jedwede Illusion, bei seinen Erlebnissen könne es sich um eine Art schlechten Traum handeln, zerstörte: Codex Gigas.
Trotz seines Namens – er bedeutete »riesige Handschrift« – war diese Ausgabe eher klein. Dick aber nicht sehr groß, bei weitem nicht so groß wie das Original. Dem Uneingeweihten musste der Titel nichts sagen. Es handelte sich um eine böhmische Bibel aus dem achten Jahrhundert. Außerdem enthielt der Kodex noch verschiedene andere Texte. Berühmt wurde er zur Zeit seiner Niederschrift seiner Größe wegen – es ist der größte mittelalterliche Kodex der Welt –, vor allem aber aufgrund der mit ihm verbundenen düsteren Legende. Es heißt, ein Benediktinermönch, der seine Seele dem Teufel verkauft habe, habe ihn in einer einzigen Nacht niedergeschrieben. Die Schweden hatten das Buch im Dreißigjährigen Krieg auf Befehl der berühmten Königin Christine geraubt und nach Stockholm gebracht. Dort kopierte es ein spanischer Priester im Gefolge des Botschafters, in den die Königin sich verliebte. Und diese unvollständige, mit gravierenden Fehlern behaftete Ausgabe gelangte dann nach Spanien, von wo aus sie in wenigen Exemplaren im übrigen Europa Verbreitung fand.
»Der Codex Gigas!«, sagte Cloister schließlich mit brüchiger Stimme. Er fügte hinzu: »Die Teufelsbibel.«.
»Was …?«
»Ich muss mir dieses Buch ansehen.«
Cloister sprach, ohne sich Gracia zuzuwenden. Er zog den Band aus dem Regal und lief damit zu einem der Tische, die zu beiden Seiten der Tür standen. Er ging zu einem Stuhl, wäre beinahe darüber gestürzt. Dann setzte er sich und be-gann, das Buch gründlich zu studieren.
»Die Teufelsbibel von Podlaice …«
»Wovon redest du? Du machst mir ja richtig Angst.«
Cecilio Gracia sprach in scherzhaftem Ton, doch innerlich war er tatsächlich erschrocken.
Mit einem Ruck schien der Jesuit aus einer anderen Zeit und von einem anderen Ort zurückzukehren. Er wandte sich seinem Freund zu und sagte, vielleicht um nicht unhöflich gegenüber demjenigen zu erscheinen, der ihm direkten Zu-gang zu den Bibliotheksbeständen gewährte: »Kennst du den Codex Gigas nicht? Hast du noch nie davon gehört?«
»Nein, nicht dass ich wüsste.«
»Das Buch galt als Teufelswerk. Es wurde von einem böhmischen Mönch geschrieben, der eingemauert starb. Es heißt, er habe es in einer einzigen Nacht niedergeschrieben, und Satan habe ihm dabei geholfen. Es ist eine lateinische Bibel mit einer tschechischen Chronik sowie Büchern von Galen, Flavius Josephus und dem heiligen Isidor von Sevilla. Das Original ist fast einen Meter hoch und prachtvoll illust-riert. In Schweden, wo der größte Katalog verbotener Bücher in
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