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616 - Die Hoelle ist ueberall

Titel: 616 - Die Hoelle ist ueberall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Zurdo
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zählte.
    Auf Josephs Drängen hin hatte sie ihm in jener Nacht er-zählt, dass die Frau ihres Freundes Michael McGale völlig unerwartet in einem Restaurant in der Nähe ihrer Praxis an einem Herzinfarkt gestorben war. Sie hatte es überstürzt und konfus erzählt, und viel zu viel war dabei ungesagt geblieben. Doch Joseph hatte Audrey nicht gedrängt, mehr zu erzählen, als sie preisgeben wollte. Kurz vor dem Morgengrauen hatte Audrey seine Wohnung verlassen, nachdem sie aus einem leichten, unruhigen Schlaf voller Alpträume aufgewacht war. Joseph hatte einen Gutteil der Nacht mit dem Versuch verbracht, Audrey in den schlimmsten Momenten zu beruhigen. Er war wirklich ein guter Mensch. Doch Audrey musste weitermachen. Allein. Sie wollte Joseph nicht in das hineinziehen, was nun geschehen würde, mit ungewissem, beängsti-gendem Ausgang.
    Daniel war vom Teufel besessen. Die Oberin hatte recht, daran bestand für Audrey nun kein Zweifel mehr. »Beweise mir, dass du die Wahrheit sagst, dann glaube ich dir«, hatte Audrey Daniels düsterer Persönlichkeit gesagt. Und er hatte es getan. Audreys Unglaube hatte die Frau ihres Freundes Michael zum Tode verurteilt. Noch ein Tod, der auf ihrem Gewissen lastete. Er war der Preis dafür, dass ihr die Augen ge-öffnet wurden, denn nun glaubte sie. Nun glaubte sie, dass Daniel die Wahrheit über Eugene kannte und dass der Teufel aus seinem Mund sprach.
    Audrey wollte diese Wahrheit erfahren. Die Ungewissheit quälte sie. Das Wesen, von dem Daniel besessen war, konnte dieser Qual ein Ende setzen. Doch dafür würde Audrey einen Preis bezahlen müssen. Die Lehren ihrer Eltern und ihre reli-giöse Erziehung stimmten darin überein, dass der Teufel ei-nem nichts schenkte. Und Audrey schreckte die Vorstellung, das Einzige zu verlieren, was ihr – abgesehen von dem Wunsch, Eugene zu finden – nun noch etwas bedeutete: ihre Seele.
    Sie befand sich zwischen zwei bodenlosen Abgründen, zwischen denen sie sich offenbar würde entscheiden müssen. Dennoch war sie mit der festen Hoffnung ins Altenheim zu-rückgekehrt, dieser Entscheidung aus dem Weg gehen zu können. Einige Tage zuvor war ihr etwas eingefallen, wovon sie glaubte, dass sie damit das teuflische Wesen in Daniels In-nerem zum Reden bringen könnte, ohne sich dadurch selbst zum Höllenfeuer zu verdammen – nicht mehr als eine Möglichkeit, doch sie würde außerdem den Gärtner retten, der an alldem unschuldig war.
    In wenigen Minuten würde ein von der Diözese Boston entsandter Priester ein Exorzismusritual an Daniel durchfüh-ren. Die Oberin hatte sich um die Vorbereitungen geküm-mert und das Verfahren beschleunigt. Als Audrey ihr den Exorzismus vorgeschlagen hatte, war sie sogleich einverstanden gewesen. Bereits seit einiger Zeit hatte sie vermutet, dass Da-niel besessen war, doch sie hatte gewartet, bis Audrey ebenfalls davon überzeugt war. Nun war es so weit.
    Vor dem Eingang des Altenheims sprach Audrey, den Blick abwesend auf die alten Mauern gerichtet, ein Gebet. Zum ersten Mal seit vielen Jahren tat sie es voll aufrichtiger Demut. Sie bat Gott, ihr in diesem kritischen Augenblick beizustehen, damit es dem Exorzisten gelänge, Daniel den Teufel auszutreiben, und damit es ihr gelänge, dem Teufel die Wahrheit über Eugene zu entreißen. Audrey wusste, dass ein Exorzismus ein gefährliches Ritual war und dabei finstere Geheimnisse aus der Vergangenheit zutage treten konnten, doch sie hatte keine andere Wahl. Außerdem bereitete ihr dies keine Sorgen mehr. Der Teufel hatte nicht gelogen, als er gesagt hatte, nichts sei wichtiger als die Wahrheit.
    Sie fühlte sich schwach und benommen. Der Geruch von Krankheit und altem Urin im Eingangsbereich drehte ihr den Magen um, obwohl sie außer einigen Schlucken Wasser nichts zu sich genommen hatte. Seit drei Tagen hatte sie nichts mehr gegessen. Pater Tomás Gómez, der den Exorzismus vornehmen würde, hatte der Oberin mitgeteilt, dass striktes Fasten für alle, die an dem Ritual teilnehmen würden, unerlässlich sei, wenn man den Teufel wirksam bekämpfen wolle. Daher würden nur Audrey und der Priester an Daniels Exorzismus teilnehmen. Mutter Victoria hatte zunächst stur darauf beharrt, ebenfalls zugegen zu sein, doch Audrey hatte sie davon abbringen können. Sie hatte argumentiert, dass sich bei dem fortgeschrittenen Alter der Nonne ein Fasten verbie-te, da es ihre Gesundheit gefährden würde. Doch die Oberin war bereit gewesen, das Risiko einzugehen, wenn sie damit dazu

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