617 Grad Celsius
heimlich mit dem Geschäftsführer dieses Etablissements liiert war und ihn jedes Mal warnte, wenn das KK 12 eine Razzia plante. Sogar ein Sittenkollege steckte mit drin. Du kannst dir denken, mit welchen Gefälligkeiten er belohnt wurde.«
Das Mädel öffnete eine Schleife ihres Tangas. Der kleine Stofffetzen fiel herab. Mit dem Absatz kickte die Tänzerin ihn beiseite. Schmiedinger gaffte mit offenem Mund, als gäbe es so etwas in Straubing nicht. Die junge Frau ließ die langen Haare im Kreis wirbeln.
Sie war schlank, kleine Brüste, die Haut schimmerte. Sie wandte sich um, bückte sich tief und nahm ihre Hand von der Scham. Bruno ärgerte sich über seinen schlechten Platz. Die Chromstange verwehrte den Blick aufs Paradies.
Vom Band kreischte Tina Turner den Refrain. Die Kleine auf der Bühne schraubte sich um die Stange. Zum Schlussakkord spreizte sie die Beine. Miese Beleuchtung, fand Bruno.
In den Applaus der Gäste tönten Klingeltöne aus seinem Sakko.
»Dein Handy«, bemerkte Schmiedinger.
Bruno winkte ab.
Keine Minute später trat die Tänzerin an ihren Tisch. Sie hatte eine Art Kimono übergestreift und sagte: »Für dreißig Euro bekommen wir das Separee.«
Bruno dachte daran, dass seine Frau davon nicht begeistert wäre. Der Kollege aus Straubing kommentierte: »Kommt nicht so gut im Fall einer Razzia.«
Wegmann lachte und trank sein Bier aus. Die junge Frau ging weiter. Auch Schmiedinger leerte sein Glas.
Sie traten auf die Straße, vorbei an einer Gruppe junger Türken, die wie eine Mahnwache der Türstehergewerkschaft wirkten: finstere Blicke auf alles werfend, was sich bewegte. Noch grimmigere auf jeden, der stehen blieb.
Ein klappriger roter Vectra hielt und Bruno erkannte darin zwei Kollegen des Einsatztrupps der Polizeiinspektion Mitte. Spätschicht, Bekämpfung der Straßenkriminalität zwischen Altstadt und Hauptbahnhof. Der eine kurbelte das Fenster herunter: »Na, wo treibst du dich heute rum?«
Bruno stellte Olaf Schmiedinger vor. »Ein Kollege aus Bayern. Kleine Stadtbesichtigung.«
»Bleibt sauber, Leute!« Die Kollegen lachten und fuhren weiter.
Bruno erinnerte sich an den Anruf. Falls es seine Frau gewesen war, würde sie argwöhnisch werden, wenn er nicht bald antwortete. Er wählte die Mailbox an.
Anna Winkler. Die suspendierte Kollegin hatte schier endlos gequatscht.
»Dienstlich?«, fragte sein Begleiter. Offenbar lernte man in Straubing das Gedankenlesen.
»Ein angeblicher Hinweis auf eine eventuelle Spur im Fall Lohse. Der kleine Homo wurde gesehen, wie er ein paar Tage vor dem Mord in einem Altstadtlokal einen großen Dunkelhaarigen abgeschleppt hat.«
»Wir sollten dem nachgehen.«
»Meinst du wirklich?«
»Seit einem Jahr bestimmt der Beißer meine Tage und meine Nächte. Ich könnte es mir nie verzeihen, aus Düsseldorf abzureisen, ohne jedem Hinweis nachgegangen zu sein.«
Schmiedingers Zimmer lag im zweiten Stock zur Straße hin. Ein billiges Hotel am Worringer Platz, der bevorzugten Flaniermeile für Junkies und Kleindealer. In puncto Wohnungseinbruch führten die Straßen der Umgebung seit Jahren die Statistik an.
Der Autolärm drang durch die Fenster, als bestünden sie nur aus Papier. Die Lampe auf dem Tisch war eine matte Funzel. Bruno breitete die Aktenkopien aus. Der Arbeitsplatz war schmal wie die Babyversion eines normalen Schreibtisches.
Eigentlich hätte er dem Gast aus Straubing zu dieser Stunde lieber das Uerige oder das Füchschen gezeigt. Bruno hatte erlebt, was übertriebener Arbeitseifer einbrachte: Man schnappte den Falschen, zog den Spott der Medien auf sich und kassierte obendrein eine Abmahnung oder Suspendierung vom Dienst.
Daniel Lohses letzte Tage waren fast lückenlos dokumentiert. Nur für den Abend des 25. Januar vor zwei Jahren hatten sich keine Zeugen gefunden. Der schwule Maler war zu Hause geblieben oder allein ausgegangen – vielleicht ins Armageddon, möglicherweise schloss sich jetzt auch diese Lücke.
Olaf Schmiedinger saß auf der Bettkante und stürzte die Kripo Straubing in die Finanzkrise, indem er per Zimmertelefon mit einem Kollegen in München konferierte.
Noch so ein Workaholic, dachte Bruno.
Er las weiter und stellte fest, dass Annas Zeuge das spätere Mordopfer tatsächlich nur am 25. Januar gesehen haben konnte – wenn die Angaben stimmten, die Anna durchgegeben hatte.
»Gib mir mal dein Handy«, bat Schmiedinger, immer noch München am Ohr.
Bruno tat ihm den Gefallen. Der Kollege hörte seinerseits
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