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617 Grad Celsius

Titel: 617 Grad Celsius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Eckert
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oder?«
    »Sind Sie der Schwiegersohn?«, fragte der Arzt.
    »Ein Freund«, antwortete Anna.
    »Aha. Jedenfalls brauchen Sie beide Ihren Schlaf genauso wie der Patient. Gehen Sie nach Hause.« Er blickte Anna ins Gesicht. »Wir werden Sie umgehend verständigen, sobald eine Veränderung eintritt.«
    Weil Anna dem Arzt nicht vertraute, hinterließ sie bei der blonden Krankenschwester das Kärtchen mit ihrer Durchwahl im Präsidium, die sie um ihre rasch hingekritzelte Handynummer ergänzte. Auch Sven gab sein Visitenkärtchen ab.
    Die Glotze im Pförtnerkabuff war ausgeschaltet, der Dicke brütete über einem Kreuzworträtsel und schaute nicht einmal hoch.
    »Soll ich fahren?«, fragte Sven, als sie ins Freie traten.
    »Ja, bitte.«
    Anna stieg auf der Beifahrerseite ein und fragte: »Darf ich bei dir übernachten?«
    »Klar.«
    Auf der Fahrt zurück ins Bahnhofsviertel lauschte Anna dem monotonen Schaben der Wischblätter auf der Windschutzscheibe. Das Geräusch erinnerte sie an die Apparate, an denen ihr Vater hing.
    Ihre Angst war einer bodenlosen Leere gewichen. Sie klammerte sich an die haltlose Vorstellung, dass alles nur ein böser Traum sei, der schon morgen der Vergessenheit angehörte.

63.
    »Mist, sie geht nicht ran«, sagte Schmiedinger und legte auf.
    »Wir schaffen das auch zu zweit«, antwortete Bruno auf dem Weg nach unten.
    »Ich hab ein komisches Gefühl.«
    »Wegen Costa Tönissen?«
    Die Frau an der Rezeption erklärte ihnen, dass der Hoteleingang ab Mitternacht abgeschlossen sei. Der Zimmerschlüssel passe auch für die Eingangstür. Schmiedinger bedankte sich und folgte Bruno zum Auto.
    Während Bruno über die Karlstraße die Rheinkniebrücke ansteuerte, wühlte der Straubinger Kripomann in den Unterlagen nach Tönissens Nummer und rief den Jungen an. Er war zu Hause. Eigentlich auf dem Sprung ins Nachtleben, aber er versprach zu warten.
    Kaarst – eine Kleinstadt am gleichnamigen Autobahnkreuz, die stolz auf ihr neues Rathaus war und auf ihre Schützenvereine, von denen jeder Ortsteil einen eigenen besaß. Fast jeder, der berufstätig war, pendelte in die Landeshauptstadt. Jetzt, am Abend, war die Autobahn frei.
    Nach nur zwanzig Minuten las Bruno das Hinweisschild Kaarst-Nord und verließ die Autobahn. Schmiedinger hantierte mit dem Straßenatlas für den Großraum Düsseldorf und wies ihm den Weg. Bruno fragte sich, wo hier das Nachtleben war, in das sich einer wie Tönissen stürzen wollte.
    Der junge Buchhändler wohnte noch bei seinen Eltern. Ein kleines, gepflegtes Haus am Ende einer Sackgasse. Schmiedinger drückte die Klingel. Tönissen öffnete und strahlte, als er Bruno erkannte.
    Sein gegeltes Haar stand in alle Richtungen ab. Er trug einen eng anliegenden knallgelben Rollkragenpulli zur Jeans, Cowboystiefel und einen breiten Gürtel mit riesiger Silberschnalle. Sie folgten ihm ins Wohnzimmer. Von seinen Eltern war nichts zu hören oder zu sehen.
    Bruno gab den Wortlaut der Nachricht wieder, die Anna auf der Mailbox seines Handys hinterlassen hatte, und fragte, ob Costa von dem Typen wisse, den Daniel Lohse wenige Tage vor dem Mord im Armageddon kennen gelernt hatte.
    »Klar. Hab ich Ihnen das nicht schon erzählt?«, fragte Costa zurück. »Daniel berichtete von einem großen, gut aussehenden Kerl. Mister Big sozusagen.«
    »Hat er einen Namen genannt?«
    »Natürlich nicht. Er wusste, dass er mich mit seinen Erzählungen scharf auf seine Lover machte, und er wollte verhindern, dass ich sie ihm ausspannte.«
    »Was hat er sonst über Mister Big berichtet?«
    »Daniel tat so, als hätte er den Typen bereits an der Angel. Dabei hatte sich gar nichts abgespielt. Aber Daniel war sich sicher, dass Mister Big ihn noch anrufen würde. Obwohl die Sache natürlich einen Haken hatte.«
    »Welchen?«
    »Wenn Sie mich fragen, hat der Typ sich nie bei Daniel gemeldet. Garantiert war das ein Hetero. Daniel meinte, dass sein Mister Big bloß noch nicht wisse, dass er in Wirklichkeit gay sei. So redete er gern. Das war seine Lieblingsfantasie.«
    »Der Entjungferungs-Tick«, stellte Bruno fest.
    Das Lächeln des Buchhändlers wurde breiter. »Hey, Sie sprechen genau meine Sprache!«
    Schmiedinger kicherte.
    »Was erzählte Daniel noch?«, fragte Bruno und gab sich Mühe, seine Gereiztheit zu verbergen.
    »Er hatte dem Typen sein Kärtchen gegeben und ihn gebeten, ihm Modell zu sitzen. Daniel fand ihn so süß, weil er ihn mit seinem dämlichen Lieblingsspruch in Verlegenheit gebracht

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