66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab
zum Leihhaus laufen?“
Der Virtuos hörte gar nicht so recht auf diese Worte. Er dankte kurz, lief vorüber und rief dabei:
„Hab keine Zeit. Muß zu ihr. Ssie kommt, ßie, ßie!“
„Sssssie? Sssssie? Wer ist nachher diese Ssssie?“
Da schien der Italiener sich auf etwas zu besinnen. Er blieb stehen, drehte sich um und kam zum Sepp zurück.
„Ich haben kehört, daß Sie ßein begannt mit ihr?“
„Mit ihr? Wen meinst dann?“
„Das rat Sie nicht?“
„Sie nennst mich? Was fällt dir denn ein? Hältst mich etwa für dem Großsultan seinem Hauswirt, dem er die Mieten schuldig ist? Ich bin der Wurzelsepp und will du geheißen werden. Verstehst?“
„Ja, ja, ich verstehn du! Aber du ßein ihr Begannter, ihr Freund, ihr Paten, ihr conoscente, amico e padrino? Ssein das wahr?“
„Was sagst du für ein Zeug? Tu mir doch den Gefalln, und laß die fremden Wörtern weg! Red doch gleich lieber, wie dir der Schnabel gewachsen ist!“
„Ich fragen, ob du wirklik ßein ihr Paten!“
„Von wem redst denn eigentlich?“
„Von damigella, von canterina, von Sängerin Signora Mureni.“
„Mureni! Gott sei Dank! Jetzt gibt's endlich mal ein deutsches Wort. Mureni. Die Muren-Leni meinst?“
„Ja, ßie mein ich, ßie, ßie, ßie!“
Dabei strich er mit dem Stock, welchen er in der rechten Hand hielt, über den ausgestreckten linken Arm, als wenn er ein kräftiges, abgerissenes Sforzato geigen wolle.
„Nun freilich, der ihrjeniger Pat bin ich schon.“
„So! Da wollen ich dir ßaken, daß ßie kommen.“
„Sie kommen? Wie viele denn?“
„Ssie, ßie, ßie, die Sängerin.“
„Ach so! Sssssie, die Leni? Wann kommt sie?“
„Jetzt, aukenblicklick, subito, incontinente!“
„Was? Cupido? Den kann ich schon. Das ist bei den Chinesern der Hochzeits- und Heiratsschlingel. Du, Musikmeistern, du willst mir doch nicht etwa mit diesenjenigen Cupido der Muren-Leni aufs Tupeh springen? Das laß sein: Dazu bist allbereits zu alt und auch zu magern. Da hast falsch gerechnet!“
„Ich verstehen dich nicht. Ich wollen dir nur ßaken, daß ßie kommt, mit dem näksten Zug auf der Eisenbahn. Ich laufen, ßie abzuholen.“
„Himmelsakra! So lauf ich auch!“
Er setzte sich mit dem Musikmeister in Bewegung. Natürlich hatte der Sepp ganz andre Lungen als der Italiener. Bereits nach einer halben Minute war er ihm weit voraus. Da aber kam ihm ein Gedanke. Er blieb halten, ließ ihn herankommen und fragte:
„Wieviel Uhr kommt denn der Zug?“
„Ssieben Uhren, le settimo.“
„Um Sieben! Heiliger Severinus! Und da rennst so, als ob du Feuer in den Hosen hättest! Da haben wir ja noch eine ganze Stunden Zeit! Jetzt laß mich aus! Was seid ihr Musikantern doch für unbegreifige Leutln! Hast noch so viel Zeit, und rennst davon wie ein auskneifiger Spitzbuben. Der Schweiß rennt dir in die Schuhen, und wannst nachher auf dem Bahnhof stehst und frierst, so klapperst mit den Knochen und bekommst einen Quatarr und einen Schnupfrich, daß dir die Nasen tropft wie eine Dachtraufen beim Wolkenbruch. Lauf als doch, wie sich's fein gehört! Und sag mir lieber, woherst weißt, daß die Leni kommt.“
„Mein Freund hat ßu mir heraußen schicken, der Kapellenmeister, il maestro di cappella. Ich müssen ßie mit abholen von der Bahnhofen, ich, weil ich mit ßie spielen und maken Konzert.“
„Ach so, du spielst mit ihr? Schön! Aber weißt vielleicht auch schon, in welchem Gasthof sie logieren wird?“
„Nix in kein Kasthofen, in kein Hotel. Ssie werden wohnen in die Mühle – mulino.“
„Meinst etwa in der Talmühlen?“
„Ja. Mein ßehr kehehrtes Freund Richard Wagner Riccardo Caroadore hat kesproken mit das Müller, mulinano. Dort ßein ein Logis ßu finden.“
„Etwa in der Villa bei euch?“
„Nein, no, no, ßondern in Mühlen ßelber, ein Treppen hoch, mehrere Zimmer, più molti appartamenti.“
„Das ist droben in der guten Stuben und neben dran, wo der Müllern nur aufschließen tut, wann er mal Besuch bekommt. Dies Logemang hat er hergeben? Das ist ja ein blaues Wunder! Da hat er mal eine sehr guten Launen gehabt. Jetzt horch! Da schlägt's auf dem Turm. Nun haben wir noch drei Viertelstunden Zeit. Aber weißt, du bist halt ein vornehmer Mosjeh, und mein Habit paßt nicht zu dem feinen Gottfried, den du angezogen hast. Drum will ich dich nicht vor den Leutln verblamiern. Lauf du durch die Stadt; ich geh hinten herum.“
Sie trennten sich, was dem Konzertmeister auch ganz lieb zu sein schien.
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