66095: Thriller (German Edition)
Meter unter ihr fest in der Wand verankert war. Sie sah zu ihrem Vater hoch und nickte, aber sie spürte Panik in sich aufsteigen. Bevor diese von ihr Besitz ergreifen konnte, drückte sie das Seil unter dem Rack gegen ihre Hüfte, so fest sie konnte, und setzte den Abstieg weiter fort. Das Abseilgerät erzitterte unter der Belastung. Der Nebel des Wasserfalls wurde bald zu einem Sprühregen, und sie musste die Augen fest zusammenkneifen, um überhaupt etwas zu sehen.
Sekunden später war sie oberhalb von Gregor angelangt. Sie nahm nur undeutlich seine Umrisse wahr. Er lag in dem knapp einen Meter breiten, tosenden Wasserfall. Das Wasser spritzte um ihn herum hoch wie Stromschnellen um einen Felsblock. Sie stieg weiter ab, bis sie auf zweieinhalb Meter an ihn herangekommen war. Ihre Stiefel waren nur noch Zentimeter von dem Wasserfall entfernt. Das Tosen des auf den Fels prasselnden Wassers schmerzte in ihren Ohren.
»Das machst du großartig«, rief ihr Vater.
Gregor musste das gehört haben, denn das Seil unter Cricket fing plötzlich an, sich wie verrückt hin- und herzubewegen.
»Aufhören!«, rief sie.
Aber Gregor hörte nicht auf. Cricket spürte, wie ihr das Seil die Hüfte hinunterglitt. »Um Himmels willen, aufhören!«, schrie sie.
In ihrer Verzweiflung versuchte sie, das Seil zu ihrem Abseilgerät hochzuziehen, um den Abstieg zu bremsen, aber Gregors Gewicht machte das unmöglich. Das Seil entglitt ihrer rechten Hand. Es löste sich von ihrer Hüfte und schlug gegen ihr Abseilgerät. Jetzt gab es keinen Reibungswiderstand mehr. Sie stürzte auf das Wasser zu und erwartete den Tod.
Schäumende Gischt toste gegen ihren Kopf. Das rauschende Wasser schlug ihr von allen Seiten entgegen, es hämmerte in ihren Ohren. Sie prallte gegen etwas und fiel nicht mehr weiter. Wie betäubt war sie von der ungeheuren Wucht, dem Druck und Getöse des herabstürzenden Wassers, das ihr das Kinn gegen die Brust drückte und gegen ihren Rücken schlug.
Zum Glück traf die Flut wenigstens nicht ihr Gesicht. Der abstehende Rand ihres Helms wirkte wie ein Regenschirm und verschaffte ihr wenigstens in etwa fünf Zentimetern Umkreis klare Sicht. Sie drehte den Kopf zur Seite und stellte fest, dass ihr Rack mit Gregors Abseilgerät zusammengestoßen war; dadurch war ihr Fall gebremst worden. Der Wissenschaftler hielt den Arm schützend vor sein kreidebleiches Gesicht. Er hatte sich ihr zugewandt, aber Cricket konnte nicht erkennen, ob seine Augen offen oder geschlossen waren. Sie tastete nach seinem Rack und tat, was ihr Tom gesagt hatte; sie machte ihr Abseilgerät an seinem fest. Jetzt hingen sie gemeinsam am Seil.
Sie wusste, wenn sie noch länger in dieser Position verharrten, würde ihnen das tosende Wasser wertvolle Körperwärme rauben. Die Nylongurte um die Oberschenkel wirkten wie Klemmen, die ihnen die Blutzufuhr abschnitten; das würde den sicheren Tod bedeuten. Dann erinnerte sie sich daran, was ihr Vater noch gesagt hatte. Sie musste sich von dem Wasserfall abstoßen und versuchen, die Nylonleiter zu erreichen, die sich irgendwo hinter ihr befand.
»Können Sie mich hören?«, rief sie Gregor zu.
Er nickte schwach.
»Können Sie mir helfen, Schwung zu holen?«
Gregor nickte wieder.
»Dann los. Auf drei. Eins, zwei, drei!«
Beim ersten Versuch starteten sie nicht gleichzeitig und drehten sich in dem eiskalten Wasser nur um sich selbst. Beim zweiten Versuch stieß Cricket mit Gregor zusammen, was sie nur noch tiefer ins Wasser hineinkatapultierte. Beim dritten Versuch ertasteten Crickets Stiefel die Höhlenwand. Sie ging in die Hocke und stieß sich ab.
Für einen kurzen Augenblick ließen sie den Wasserfall hinter sich. Cricket holte tief Luft, bevor sie erneut in die tosende Flut eintauchte. Sie streckte die Füße aus, ertastete die Höhlenwand, ging in die Hocke und stieß sich erneut ab. Gregor tat dasselbe, und mit diesem Schwung kamen sie sehr viel weiter aus der Gischt heraus. Cricket gelang es, den Kopf zu drehen und ihre Stirnlampe auf die Wand mit der roten Nylonleiter zu richten. In dem Augenblick, als sie zum Wasserfall zurückschwangen, entdeckte sie die Leiter.
»Nochmal!«, rief Cricket.
Mit angezogenen Beinen tauchten sie wieder in die Flut ein. Cricket spannte die Muskeln an, als sie zur Höhlenwand schwangen, dann stieß sie sich mit aller Kraft ab. Wieder gelangten sie auf die andere Seite. Cricket streckte sich und tastete mit der linken Hand nach der Leiter. Es kam ihr vor wie eine
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