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66095: Thriller (German Edition)

66095: Thriller (German Edition)

Titel: 66095: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark T. Sullivan
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Ewigkeit, bis sie so weit durch den Raum geschwungen waren, dass die Leiter in Reichweite kam. Das Seil erreichte seinen Umschwungpunkt, Cricket stieß einen Schrei der Enttäuschung aus, als ihre Finger erneut die Leiter verfehlten. Sie griff ins Leere, so wie Mann am Vortag, ehe ihn sein Schicksal ereilte. Aber Gregor hatte längere Arme, und er bekam eine Sprosse zu fassen.
    Ein paar Sekunden lang hingen sie schwer keuchend am Seil, bis Cricket die Geistesgegenwart hatte, den Karabinerhaken an ihrer Sicherungsschlinge zu öffnen und an der Nylonleiter einzuhängen. Sie griff nach Gregors Sicherungsschlinge und wiederholte den Vorgang. Sie wies ihn an, auf die Leiter zu steigen, und tat es ihm dann nach. Damit war das Seil nun ganz entlastet.
    Sie hörte, wie ihr Vater einen Freudenschrei ausstieß und dann zu ihr herunterrief: »Den schwierigsten Teil hast du geschafft, Crick. Jetzt häng die Racks wieder ein und bring ihn vorsichtig nach unten.«
    »V-vorsichtig«, sagte Gregor. Er war vor Kälte ganz benommen.
    Einen Augenblick lang stellte sich Cricket vor, wie sie seine Sicherungsschlinge löste und ihn in den Abgrund stürzen ließ. Dann erinnerte sie sich an Kelly und seine Pistole.
    »Wenn Sie am Leben bleiben wollen, tun Sie genau, was ich Ihnen sage«, sagte sie.
    »Du weißt, was zu tun ist«, erwiderte Gregor. »Nicht ich.«
    Es dauerte zehn Minuten, bis Cricket ihr Abseilgerät richtig am Seil eingehängt und Gregors Gurt an ihrem eigenen befestigt hatte. Sie löste die Karabinerhaken, die sie an der Wandverankerung festhielten, dann seilten sie sich ab, das Gesicht einander zugewandt. Gregors Haut war so wächsern bleich, dass Cricket die blauen Venen darunter deutlich zu erkennen glaubte. Das Weiß in seinen Augen war von geplatzten roten Äderchen durchzogen.
    »Du verabscheust mich, n-nicht wahr?«
    Cricket antwortete nicht.
    »Spielt aber keine Rolle«, sagte Gregor. »Für die große Wissenschaft muss man alles opfern. Sein Ansehen, die Erwartungen, die a-andere an einen stellen. Alles.«
    Sein Kopf fiel zur Seite. Cricket fuhr fort, das Seil durch die Bremsstege des Racks hindurchzuführen. Sie wollte so schnell wie möglich das Ende des Schachts erreichen, um ihm nicht mehr so nahe sein zu müssen. Sein Atem roch übel, als würde er von innen zerfressen. Es war der Geruch der Verwesung.
    »Alle großen Geister w-waren zu ihren Lebzeiten verhasst«, sagte Gregor, der jetzt nicht nur stotterte, sondern auch mit den Zähnen klapperte. »Kopernikus, Galilei, Oppenheimer. Die revolutionären Geister sind am bedrohlichsten, und die Welt möchte sie vernichten. Aber meine Zeit wird kommen. Die Geschichte wird das Urteil über mich fällen. Alles andere zählt dann nicht mehr.«
    »Ich möchte nur nach Hause zu meiner Mutter«, sagte sie.
    Gregor blinzelte, er schien durch Cricket hindurch in weite Ferne zu blicken. Fast eine Minute lang sagte er kein Wort. Als er wieder zu sprechen begann, stotterte er mehr als je zuvor.
    »M-meine Mutter war sehr kränklich«, sagte er. »Sie stand immer zwischen Leben und Tod. Eines Nachts starb sie in der Hütte, in der wir zusammen mit meinem Großvater wohnten. Ich war acht. K-kein Mensch war da. Mein Großvater war im G-gefängnis. Ich wusste, ich sollte Hilfe holen. Aber ich wusste auch, dass man sie mir dann wegnehmen würde. Großvater hatte immer gesagt, dass einem a-alles, was man liebt, genommen wird. Am Ende kamen sie und brachten sie fort. Die Sozialarbeiter. Sie fanden mich. Und meine Mutter. Sie legten sie in ein Armengrab.«
    Er kicherte bitter in sich hinein. »Ein glückliches Familienleben – das ist nur ein f-frommer Wunsch. Das einzig Sichere im Leben ist das Wissen. Es gewährt Schutz. Es v-verwandelt einen. Das ist das Einzige, was sie einem nicht wegnehmen können.«
    Sein Kopf schaukelte hin und her und fiel dann zur Seite. Gregor verlor das Bewusstsein.
    Von unten leuchtete ein Lichtstrahl herauf. Cricket wandte den Blick von Gregor ab, und trotz ihrer Erschöpfung gelang ihr der gleichmäßige Abstieg. Lyons wartete am Ende des Seils neben einem großen aquamarinblauen Becken, dessen Wasser sich in einen nach Norden verlaufenden Fluss ergoss. Der bullige Gefängniswärter trat auf sie zu, fasste sie um die Hüfte und ließ sie den letzten Meter heruntergleiten. »Du hast ihm das Leben gerettet. Bist ein großartiges Mädchen, Cricket.«
    Sie sah Lyons hasserfüllt an. »Ich hoffe, er bekommt eine Lungenentzündung und stirbt als Strafe

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