66095: Thriller (German Edition)
erlegen will. Whitney gab ihm flüsternd die Richtung vor, Two-Elk las die Fußspuren am Boden, und so bewegten sie sich wie ein gut eingespielter Trupp durch die Höhle.
Der Marshall schob sich langsam durch den Kriechgang, der von der letzten der geräumigen Hallen abzweigte. Whitney und Two-Elk folgten ihm. Seit knapp einer Stunde waren sie nun wieder unterwegs. Es erforderte ungeheure Konzentration, und obwohl Whitney, wenn auch unruhig, sieben Stunden geschlafen hatte, spürte sie jetzt, wie erschöpft sie war.
»Mit dieser Stirnlampe fühlt man sich wie auf dem Präsentierteller«, flüsterte Finnerty. »Wir drehen sie so weit wie möglich zurück.«
Jetzt konnten sie einander kaum mehr sehen.
»Hier entlang«, murmelte Whitney. »Der Weg gabelt sich und trifft erst nach sechs Stunden wieder auf den anderen. Ich wette, Tom hat sie über die Brücke in den Endloskriechgang geführt. Ein schrecklicher Weg. Kann einen in den Wahnsinn treiben.«
Der Marshall sah sie an. »Aber bis jetzt haben wir doch allesamt unsere fünf Sinne noch beisammen, oder etwa nicht?«
»Ja«, sagte Whitney, verärgert über diese Bemerkung und erstaunt über ihre eigene Wut.
»Ich wollte mich nur vergewissern«, sagte Finnerty. Er holte tief Luft, duckte sich und hastete weiter bis an den oberen Rand der engen Felsschlucht. Whitney wartete zehn Sekunden, dann folgte sie ihm. Der Schein ihrer abgedämpften Lampen erhellte den Raum nur sehr schwach.
Whitney spürte förmlich den Abgrund, der sich nach Norden in der Finsternis auftat. Als Two-Elk neben ihr auftauchte, schaute sie mit zusammengekniffenen Augen in die Dunkelheit und entdeckte etwas, das sie bis ins Mark erschütterte. Sie sprang auf, drehte die Stirnlampe weit auf und hastete weiter.
»Mrs. Burke!«, zischte Finnerty.
Aber Whitney achtete nicht auf ihn. Jetzt stand sie an dem Stumpf, der von der abgebrochenen Naturbrücke übrig geblieben war. Sie legte sich auf den Bauch, kroch bis an den Rand und hielt Ausschau nach einem Toten auf dem Boden der Schlucht.
Finnerty, sichtlich aufgebracht, war jetzt hinter ihr. »Sie bringen sich in Gefahr und was noch schlimmer ist: mich dazu.«
Whitney wirbelte herum und fuhr ihn an. »Die Brücke ist eingestürzt. Es geht um meinen Mann und meine Tochter. Was soll ich denn machen? Däumchen drehen?«
»Ich möchte, dass Sie wenigstens so lange am Leben bleiben, bis Sie Ihren Mann und Ihre Tochter wiederhaben«, gab er zurück.
»Auf dieser Seite führen nur zwei Fußspuren weiter, Chef«, rief Two-Elk. Sie kam den ebenen Rand des Canyons herauf, flink wie ein Spürhund, der Witterung aufgenommen hat. »Einer der Häftlinge. Und das Mädchen.«
»Cricket?« Wie elektrisiert sprang Whitney auf. »Sind Sie sicher, dass Tom nicht bei ihr ist?«
»Er trägt schwere Schuhe mit Profilsohlen, wie das Mädchen, nicht wahr?«, fragte Two-Elk.
Whitney nickte.
»Die anderen Fußspuren stammen von Schuhen mit Luftpolster, Größe elf. Ich kenne die Schuhgrößen aus den Polizeiberichten. Es handelt sich um Kelly.«
Whitney überlegte schnell, was Finnerty ihnen vor dem Aufbruch in die Höhle über die Häftlinge gesagt hatte. »Der Würger?«, rief sie erschrocken. Dann hielt sie sich die Hand vor den Mund. Sie beugte sich über den Rand des Canyons und hätte beinahe das Gleichgewicht verloren. Alles, was bis dahin von Bedeutung gewesen war, löste sich auf. Sie warf einen Blick hinüber auf die andere Seite des Canyons; dort klaffte das Loch in der Wand, durch das Tom gegangen war. Sie überlegte kurz, wie die Höhle auf dieser Seite des Canyons weiterging, dann lief sie Richtung Norden den Rand der Schlucht entlang.
»Verdammt nochmal!«, hörte sie Finnerty hinter sich fluchen. Sie war 100 Meter weit gekommen, als sie seinen Griff spürte. Er packte sie am Ellbogen und wirbelte sie herum. »Stopp! Wir können nicht einfach kopf- und planlos hinter ihnen herrennen!«
Whitney entwand sich seinem Griff und fauchte ihn an: »Meine Tochter ist dort irgendwo, 40 Minuten vor uns, und sie ist einem skrupellosen Mörder ausgeliefert, der die Leute mit bloßen Händen erwürgt. Also, Marshall, Schluss mit dem Anschleichen. Keine Pirsch. Wir laufen los, und wir werden sie einholen und meine Tochter befreien, okay?«
Finnerty packte die Wut, doch dann schlug seine Stimmung um und er machte ein verblüfftes Gesicht. Schließlich lächelte er. »Sie erinnern mich an meine Frau«, sagte er, schüttelte den Kopf und kratzte sich am Ohr.
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