68 - Der Weg zum Glück 03 - Der Baron
finstere Nacht geworden. Blitz folgte auf Blitz und Donnerschlag auf Donnerschlag.
Der junge Mann blieb einige Augenblicke lang überlegend stehen. Ein neuer Blitzschlag, dem ein entsetzliches, knatterndes Krachen folgte, verbreitete einen sehr bemerkbaren schwefeligen Geruch und gab den Gedanken des Wanderers eine schleunige Richtung.
„Das ist ein sehr schweres Gewitter! Ich muß nach Schutz suchen. Da links droben gibt es in einem Felsen eine Vertiefung, grad zureichend, daß ein Mensch sich bequem darinnen verbergen kann. Schnell hin zu ihr!“
Er stürmte unter den Bäumen hin, die er vor Dunkelheit kaum zu unterscheiden vermochte. Er sah dabei nur vor sich, weder rechts noch links. Da war es ihm, als ob er eine menschliche Stimme gehört habe. Er blieb stehen und lauschte. Wieder erklang es wie ein Ruf aus weiblichem Mund.
„Ist jemand da?“ rief er sehr laut.
„Ja! Hier, hier!“
Es klang von links herüber. Er rannte dem Schall nach. Da erblickte er unter einer hohen Buche, deren Gipfel alle anderen Bäume hoch überragte, eine weibliche Gestalt. Er sprang hinzu und faßte sie, ohne sie erst genauer zu betrachten, bei der Hand und zog sie mit sich fort.
„Um Gottes willen! Sie stehen ja unter dem höchsten Baum der ganzen Gegend, das ist doch gradso, als ob Sie einen Blitzableiter in die Hände nehmen!“
Sie folgte ihm ohne Widerstreben. Kaum waren sie fünfzehn bis zwanzig Schritte von dem Baum entfernt, so schienen sie mitten in prasselnden Flammen zu stehen, und es tat einen Schlag, unter welchem die Erde erzitterte. Das Mädchen schrie laut auf und sank vor Schreck zu Boden. Auch Rudolf blieb stehen. Er war geblendet und hatte das Gefühl, als ob er die Füße nicht bewegen könne. Stücke und Splitter von Ästen und Zweigen flatterten um sie herum. Er beugte sich über die auf der Erde Liegende, daß sie von diesen gefährlichen Geschossen nicht getroffen werden möge. Dann wendete er sich zurück.
„Mein Gott!“ rief er aus. „Sehen Sie, daß der Blitz in die Buche geschlagen hat, unter welcher Sie standen! Jetzt, jetzt wären Sie eine Leiche!“
Sie erhob das bleiche Gesicht und sah nach dem Baum. Er war auseinandergerissen. Die Teile lagen am Boden und Splitter weit umher.
„Mein Himmel! Sie haben mich gerettet!“ sagte sie, die Hände vor das Gesicht schlagend.
„Aber es regnet! Es gießt ja förmlich. Hier können wir nicht bleiben! Kommen Sie schnell.“
Er ergriff sie abermals bei der Hand, zog sie vom Boden auf und eilte mit ihr fort. Sie sah nicht, wohin er sie führte. Felsen türmten sich vor ihnen auf, zwischen denen sie hindurchrannten; dann gab es einen freien Platz, welcher von fast gar keinem Baum bestanden war, an drei Seiten von Felsen umgeben und nach Westen steil in die Tiefe abstürzend.
„Kommen Sie! Hier links. Da hinein! Bücken Sie sich, damit Sie sich der Regenflut nicht lange aussetzen, denn noch sind wir nicht sehr naß.“
Es gab da eine Aushöhlung in dem Stein, vielleicht fünf Fuß hoch, vier Fuß breit und ebenso tief wie hoch. Sie bückte sich, kroch hinein und setzte sich da nieder.
Der Regen konnte sie hier nicht mehr treffen. Sie war sicher. Aber die Blitze zuckten draußen nach allen Richtungen, und der Schall des Donners schien durch die Felsen verstärkt zu werden. Das war gräßlich.
Ihr Retter war nicht mit hereingekommen. Wo befand er sich? Sie beugte sich vor und blickte hinaus. Neben dem Loch hatte sich ungefähr vier Ellen über dem Boden ein Brombeerstrauch in eine schmale Ritze geklammert und ließ seine dichten, blätterreichen Ranken von da herunterfallen. Da drinnen, im stacheligen Gedorn, stand Rudolf Sandau. Es war klar, daß er da nicht den gewünschten Schutz vor dem Regen fand.
„Warum bleiben Sie draußen?“ fragte sie.
„Weil ich hier einen Regenschirm gefunden habe.“
„Er hat aber so viele Löcher, daß Sie vollständig naß werden!“
Der Schreck war überwunden, und nun, da sie sich in Sicherheit befand, klang es bereits wie Scherz aus ihren Worten.
„Ich muß es darauf ankommen lassen“, antwortete er.
„Nein, das kann ich nicht zugeben. Kommen Sie mit herein!“
„Das ist unmöglich.“
„Ich sehe keine Unmöglichkeit.“
„Es ist ja nicht Platz für zwei.“
„So rücken wir zusammen, da gibt es Raum genug.“
„Danke! Ich darf Sie nicht belästigen.“
Das klang so bestimmt, daß sie sich wirklich abweisen ließ und ihren vorigen Sitz einnahm. Bald aber schien sich die Macht des Regens
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