68 - Der Weg zum Glück 03 - Der Baron
mein Ideal.“
„Und weiter!“
„Vielleicht folgt die Schilderung später einmal. Jetzt möcht ich auch den andern Damen gerecht werden: Für jede ein Lied. Bitte, gnädige Baronesse!“
„Für mich auch eins?“ sagte Milda. „Nun, dann mein Lieblingslied. Hier ist es!“
Sie legte ihm das Notenblatt hin. Es war überschrieben ‚Blühendes Tal‘. Der Gesang beginnt sogleich, ohne Vorspiel:
„Wo ich zum erstenmal dich sah,
Wie üppig grünt die Wiese da.
Wo ich zum erstenmal dich sprach,
Da blühn die Veilchen unterm Dach.
Wo ich dich küßt in dunkler Nacht,
Da blüht nun der Rosen Pracht,
Doch wo ich Abschied nahm in Leid,
Da rauscht nun eine Trauerweid'.
Bald jauchzt in Wonne mir das Herz,
Bald sinkt es ein in tiefstem Schmerz.
So blüht und rauscht das ganze Tal
Von unsrer Lieb, von unsrer Qual.“
Er hatte jetzt vermieden, Asta anzusehen, und doch fühlte er förmlich ihren Blick auf sich ruhen. Es war etwas Faszinierendes, Gefangennehmendes an diesem Mädchen. Er fühlte sich von ihr abgestoßen und doch auch mit eigentümlich zwingender Macht wieder angezogen. Er dachte kaum an das Lied, welches er sang. Er sah kaum die Noten, und er hörte kaum seine eigenen Töne. Es war, als ob er sich in einem Zauber befinde.
Und nicht allein er war bezaubert. Auch Asta fühlte etwas, das sie noch nie gefühlt hatte. Dieser Wildschütz machte ihr mit seiner herzbestrickenden und sinnbetörenden Stimme zu schaffen. Wenn Orpheus mit seinem Gesang Steine lebendig machen konnte, warum sollte es dieser geradezu beispiellose Tenor nicht vermögen, ein kaltes Herz in Liebesglut zu versetzen? Warum vermied er ihren Blick? Sie veränderte ihre Stellung, um ihn zu zwingen, sie anzublicken, aber da wendete er sich ab:
„Bitte, Frau Bürgermeister, nun auch Sie ein Lied.“
„O nein, ich möchte Sie nicht belästigen“, antwortete sie in ihrer Bescheidenheit.
„Sie belästigen mich nicht, sondern es ist ein Wunsch, welchen Sie mir erfüllen.“
„In diesen Fall möchte ich Sie um dasjenige Lied bitten, welches mich unter allen hier vorzufindenden stets am tiefsten rührt: ‚Des kranken Kindes Traum‘. Bitte, hier sind die Noten!“
Er überflog die Melodie. Sie begann in a-Moll, in so weichen, herzinnigen Tönen fragte das Kind:
„Was wecken aus dem Schlummer mich
Für süße Töne doch?
O Mutter, sieh, wer mag es sein
In später Stunde noch?“
Und die Mutter, welche am Bett des sterbenden Kindes wacht, antwortet voller Angst:
„Ich höre nichts, ich sehe nichts;
O schlummre fort, so lind,
Man bringt dir keine Ständchen jetzt,
Du armes, armes Kind!“
Aber das Kinderohr hört doch Töne, Töne, welche nun heller und heller, jubelnd erklingen. Das Moll mit seinen Klagen ist vorüber, und nun ertönt es in freudigem, sicherem Dur:
„Es ist nicht irdische Musik,
Was mich so freudig macht;
Mich rufen Engel mit Gesang,
O Mutter, gute Nacht!“
Er hatte dieses Lied leise und zart begonnen, wie die andern beiden auch; dann aber, bei den Worten ‚es ist nicht irdische Musik‘ begann seine Stimme zu schwellen, stärker und stärker; bei ‚mich rufen Engel mit Gesang‘ brauste sie durch das Zimmer, daß in Wahrheit und buchstäblich die Fensterscheiben klirrten, und dann sank sie bei dem letzten Gruß an die Mutter schnell wieder zum leisen, hinsterbenden Flüstern herab.
Und diese Stärke seiner Stimme hatte nichts Gewaltsames, nichts Erzwungenes an sich. Die Sonne strengt sich auch nicht an, wenn sie das ganze Licht und die ganze Wärme ihrer Strahlung zur Erde sendet. Asta war unwillkürlich zurückgewichen. Sie war fast erschrocken über diese gewaltige Fülle von Wohlklang und Metall. Milda saß mit gefalteten Händen auf ihrem Stuhl und blickte den Sänger zweifelnd an. War es denn möglich, daß diese Worte, diese Töne aus einer menschlichen Brust kamen? Und die Bürgermeisterin hatte sich abgewendet und weinte inbrünstig. Es war überhaupt eigen, daß diese drei weiblichen Wesen sich ganz genau und treffend durch die Wahl ihrer Lieder charakterisiert hatten. Asta mit ihrem einfachen, nackten Konstatieren des Verliebtseins:
„Dann trag ich es im Herzen
Den ganzen Tag umher!“
Milda, die Liebe tiefer, viel tiefer erfassend:
„So blüht und rauscht das ganze Tal
Von unserer Lieb, von unserer Qual.“
und die Bürgermeisterin nur an die größte Liebe, an die Mutterliebe denkend:
„Man bringt dir keine Ständchen jetzt,
Du armes, armes Kind!“
Sie war aufs tiefste ergriffen. So wie
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