68 - Der Weg zum Glück 03 - Der Baron
ein Findelkind.“
„Ja, er ist schon ein Findelkind, aber sie gehören dennerst zusammen, denn sie ist eine Findelmutter, weil ich sie funden hab.“
„Ich verstehe das nicht.“
„Frau Bürgermeisterin, soll ich's verzählen?“
Die Frau errötete und erbleichte. Ihre Vergangenheit war eine ungeheure.
„Es handelt sich hier jedenfalls um eine diskrete Angelegenheit“, sagte der König. „So sehr ich mich für den Lehrer interessiere, kann ich doch nicht zugeben, daß der Sepp über Ihre privaten Angelegenheiten spricht.“
„Ach was!“ rief der Sepp. „Wanns Eisen warm ist, so muß man's schmieden, sonst wird's wiederum kalt. Frau Bürgermeisterin, bedenken 'S, daß der Max im Bayrischen geboren und auch da erzogen worden ist. Unsere Königliche Majestäten haben also ein Wort mit dreinzusprechen, und es wird vielleicht niemalen wiedern vorkommen, daß Sie den guten, gnädigen Herrn so treffen wie grad jetzt in diesem Augenblick. Nehmen 'S sich ein Herz, und reden 'S von der Leber weg. Er wird Sie nicht fressen. Dazu ist er doch gar zu gut und freundlich. Ich werd mich dabei zurückhalten und fein hinterherkraxeln.“
Der König machte eine Wendung zum Weitergehen, und die Bürgermeisterin hielt dies für eine Aufforderung, sich an seiner Seite zu halten. Sie folgte derselben. Der Sepp ging in gehöriger Entfernung hinter ihnen her. Er schmunzelte höchst vergnügt vor sich hin und brummte:
„Sepp, bist doch ein Teufelskerlen! Alles bringst zustande, alles! Jetzt hast sogar die da auf den König hetzt. Nun wird das Ding mit der Legitimationen gleich gehen wie geschmiert!“
In der Nähe des Dorfes blieben die beiden Voranschreitenden noch eine ganze Weile in ernstem Gespräch stehen. Der Sepp sah dann, daß die Bürgermeisterin weinend die Hand des Königs ergriff und ihre Lippen darauf drückte. Der Monarch schien tief gerührt zu sein. Es lag jener tiefsinnig-wohlwollende Zug über sein Gesicht ausgebreitet, welchen man stets an dem hohen Herrn bemerkte, wenn sein Herz in Mitleidenschaft gezogen wurde. Er nickte ihr zu, schenkte auch dem Sepp einen Blick und schritt dann langsam weiter.
Er ging hinter dem Dorf hinweg, an das denkend, was ihm die Bürgermeisterin in tiefster Reue und unter strömenden Tränen erzählt hatte. Seine Stirn legte sich in Falten. War sie nicht zu rechtfertigen, so war sie doch zu entschuldigen, denn sie hatte nur unter dem Einfluß ihres krankhaften Zustandes sich des Kindes entledigt. Wer aber war jener Schurke, welcher ein vertrauensvolles Mädchenherz in solcher Weise hintergangen hatte? Jedenfalls ein Angehöriger der feinen Aristokratie, welche dem Volk doch als leuchtendes Beispiel gelten sollte. Er verdiente die strengste Strafe, und diese Strafe sollte ihm werden, falls es gelang, ihn zu entdecken.
So dachte der König. Es war ein wunderbar schöner Feiertagsmorgen. Die Sonne leuchtete in all ihrer Pracht. Die Lerchen trillerten. Vom Busch her ertönte lauter Finkenschlag. Der König hörte es nicht. Sein Herz war so tief traurig. Welch eine Fülle von Schmerz vermag eine einzige Menschenseel in sich zu fassen! Hier, dieses kleine Hohenwald, dieses weltvergessene, einsame Gebirgsnest, wieviel Sorge und Not, wieviel Jammer und Elend, wieviel Schlechtigkeit und Verbrechen trug es versteckt in seinen Häusern! Und nun die weite, weite Erde – welche undenkbare Masse von Herzeleid hat sie zu tragen, während sie stolz und leuchtend in furchtbarer Eile um die Sonne rollt! Ist das Leben denn überhaupt wert, daß man es lebt? Ist das Hohe, das Edle, nach welchem der Erdensohn strebt, denn wirklich so erhaben? Verdient es die Wissenschaft, die Kunst denn wirklich, daß man ihr die Leiden, Entbehrungen und Anstrengungen seines ganzen Daseins opfert? Ist nicht der Augenblick, an welchem ein müdes Auge bricht, um das Aufleuchten einer besseren Welt zu erblicken, nicht der schönste, der beneidenswerteste im ganzen Leben? Ist der Tod nicht Erlösung von allem Übel, und bedeutet nicht der Klang der Sterbeglocken einen Bewillkommnungsruf aus höheren Sphären, wo die Seele alles abgestreift hat, was –
Er fuhr aus seinem Sinnen auf. Der Pfad hatte geendet, und er stand vor der einstigen Flachsdörre. Die alte Feuerbalzerin saß vor der Türe auf einem Stein und flickte ein altes Tuch, welches kaum noch zu flicken war.
„Guten Morgen“, grüßte er.
„Guten Morgen“, dankte sie. „Der Herr hat sich gewiß verlaufen. Wo wollen 'S den halt hin, zu
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