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klein waren, aber dann, kurz bevor wir erwachsen wurden, wurden wir sortiert und eingeordnet. Ein Oberschüler zu sein war der erste Schritt in der Entwicklung zu einem Haustier .
In der Pause kam Adama herüber und setzte sich auf meinen Tisch.
»Narushima und Otaki haben gesagt, wir sollten uns alle treffen.«
»Treffen und was machen?«
Er zuckte die Schultern. »Willst du austeigen, Ken?«
»Aus was aussteigen?«
»Du weißt schon. Politische Aktionen.«
»Glaubst du wirklich, wir können das so nennen?«
Adama lachte durch die Nase.
Für mich hatte das, was wir getan hatten, mehr mit Spaß als mit politischen Zielen zu tun gehabt. Das Gleiche konnte man eigentlich über den Kampf gegen die Enterprise sagen. Natürlich, es war etwas Blut vergossen worden, aber Blut wurde manchmal auch auf Partys vergossen. Hatten sie tatsächlich gehofft, mit ihrer Aktion etwas zu bewirken? Das Dröhnen eines einzigen Phantom-Jets reichte aus, um alle Reden und Gesänge zu ersticken. Hätten sie wirklich bei der Brücke von Sasebo durchbrechen wollen, dann hätten sie ihre Transparente und Plakate hinschmeißen und Gewehre und Bomben nehmen sollen.
Das erklärte ich gerade Adama, als ich hörte, wie mein Name mit einer leisen, engelsgleichen Stimme gerufen wurde.
Kazuko Matsui stand in der Tür. Sobald ich ihr Gesicht sah, hatte ich eine totale Mattscheibe. Schweigen breitete sich im Raum aus. Die sieben Schülerinnen schauten mit eifersüchtigem Blick von ihren englischen Wörterbüchern auf, und die Herde der männlichen Haustiere wandte die Augen ab, als befänden sie sich in der Gegenwart eines heiligen Wesens. Einige von ihnen ließen sogar ihre Rechenschieber fallen, sanken auf die Knie, pressten ihre Handflächen zusammen und begannen zu beten. Nein, nicht wirklich, aber was mich anging, war ich so mit Stolz erfüllt, dass meine Wangen heiß wurden. Ich unterdrückte den Drang zu rufen: »Schaut her - das ist die Frau, die mir einen Strauß Rosen geschickt hat!«, und rannte zu ihr hin.
»Ähm, ich dachte, ich bring’ dir deine Janis-Joplin-Platte zurück«, sagte der Engel.
Neben ihr stand die vollbusige Nymphe Ann-Margret und starrte Adama mit feurigen Augen an.
»Es ist schön, dass du wieder in der Schule bist«, murmelte der Engel. Ich fühlte mich wie Alain Delon , der bei seiner Entlassung aus dem Gefängnis von einer Geliebten begrüßt wird.
»Du hättest sie jederzeit zurückgeben können. Es wäre nicht eilig gewesen.«
Aus einer Ecke des Klassenzimmers heulte Ezaki, der rechtmäßige Besitzer von Cheap Thrills : »Meine Platte!« Lady Jane schaute überrascht, und ich nahm mir in Gedanken vor, dem Kerl später einen Arschtritt zu versetzen.
»Das ist Ezaki. Er ist in einem Schönheitssalon aufgewachsen. Sein Gehirn ist matschig geworden, weil er zu viel Haarspray eingeatmet hat. Es heißt, dass er bald weggesperrt werden muss.«
Sie schaute mich an, als ob sie an meinem eigenen Verstand zweifle, schüttelte dann den Kopf und lachte, ein Laut wie von der schönsten Glocke der Welt - ein Relikt aus dem Ottomanischen Reich, aus Jade und purem Gold.
»Hör mal, danke für die Rosen«, sagte ich. »Es ist das erste Mal, dass mir so etwas passiert ist.«
»Was?«
»Ich meine, mir hat noch nie vorher jemand Blumen geschickt.«
»Schon gut, rede nicht darüber, es ist peinlich. Für mich war es auch das erste Mal.«
Das erste Mal ... Sie war eine Jungfrau ! Ich war so geplättet, dass ich sie auf der Stelle bat, in unserem Film und dem Theaterstück mitzuspielen. Als es zur nächsten Stunde klingelte, nannte sie mir den Namen eines Cafés, in dem wir nach der Schule alles besprechen konnten, und eilte dann davon. Ich ging zu Adama hinüber, sang dabei Gigliola Cinquettis Golden Oldie Amore Romantico und klopfte ihm auf den Rücken.
»Dreh mir nicht total durch, Mann. Was sollen wir Narushima und Otaki sagen?«
»Worüber?«
»Über das, wovon wir gerade geredet haben. Willst du ihnen erzählen, dass Terrorismus der einzige Weg ist?«
»Terrorismus? Wovon redest du? Lady Jane ist eine Jungfrau, Mann, es war das erste Mal, dass sie jemandem Rosen geschickt hat.«
»Gott, was für ein Armleuchter.«
Adama setzte sein berühmtes Ich-geb’s-auf-Gesicht auf.
Während der Mittagspause, als ich gerade auf dem Weg zum Debattier-Clubraum war, wo Narushima und die anderen warteten, stieß ich wieder mit dem Engel zusammen. Sie hatte schlechte Nachrichten.
»Es tut mir Leid, aber ich kann dich
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