7 Minuten Zu Spät
frisches Pita-Brot von Papptellern. Mike wirkte ganz normal, dachte Alice. Heute war ein schmerzlicher Tag gewesen, und sie war froh, dass sie jetzt alle endlich wieder zusammen waren.
Lizzie sollte auf der Couch im Wohnzimmer schlafen. Mike ging mit den Kindern nach unten, um sie zu Bett zu bringen, während Alice das Sofa für ihre Mutter herrichtete. Lizzie zog sich im Badezimmer um und erschien in einem lavendelfarbenen Nachthemd mit Spaghettiträgern und einem Federsaum an den Knien. Dazu trug sie passende Pantöffelchen, die aussahen wie Puderquasten. Ihre Haut war schlaff und gebräunt, aber nicht von der Sonne am Strand; Lizzie arbeitete bis spät am Abend. Ihre Bräune stammte aus einem Sonnenstudio.
Alice schlug die Decke zurück und legte sich auf das Sofabett. Lizzie schlüpfte neben sie und strich durch Alices kurze rotblonde Haare. Die weiche Haut ihrer Mutter war für Alice immer noch das Höchste.
»Ich habe nie begriffen, von wem du die roten Haare geerbt hast«, sagte Lizzie. »Von Rich und mir auf jeden Fall nicht.«
»Weißt du noch, wie du mir immer weisgemacht hast, meine Sommersprossen seien Feenstaub?«
Lizzie lachte leise. »O ja, klar, daran erinnere ich mich noch gut.«
»Ich habe dir geglaubt.«
»Na ja, mein Schatz, das wolltest du damals eben gerne hören.« Lizzie fuhr mit der Fingerspitze die Konturen von Alices Gesicht nach: Stirn, Nase, Wangenknochen, Kinn. Als Alice noch klein war, hatte sie sie damit nachts immer beruhigt.
»Ich habe die Schlaftablette genommen, die meine Ärztin mir gegeben hat«, sagte Alice, »aber ich habe noch nicht das Gefühl, dass sie wirkt.«
»Warte nur ab, sie wird schon wirken.«
»Danke, dass du gekommen bist, Mom.«
»Hmm.«
Unten ebbte der Kinderlärm langsam ab. Peter wurde immer als Erster zu Bett gebracht, da er der Jüngste war, dann kam Nell an die Reihe. Jetzt lag Mike wahrscheinlich bei Nell im Bett und erzählte ihr eine Geschichte.
»Erzähl mir eine Geschichte, Mom.«
»Kannst du dich an deinen Vater erinnern?«
»Ein bisschen, nicht sehr gut. Ich war ja erst acht, als er uns verlassen hat. Findest du, ich müsste mich besser an ihn erinnern können?«
»Er war ein Scheißkerl, ein echter Verlierer, aber als er uns wegen dieser Nutte verlassen hat, hat er mir das Herz gebrochen«, sagte Lizzie. »Im wahrsten Sinne des Wortes gebrochen.«
»Ich dachte, sie sei Meeresbiologin gewesen. Hat sie nicht bei Daddy im Labor gearbeitet?«
»Sie war eine Nutte. Das ist mir lieber so. Weißt du noch, was ich getan habe, als er ging?«
»Ich weiß noch, dass du ganz ruhig warst. Es hat mir irgendwie Angst gemacht.«
»Mir auch.« Lizzies Fingerspitzen lagen auf Alices Stirn. »Als Erstes bin ich einkaufen gegangen, für uns beide. Und dann habe ich unser ganzes altes Zeug verkauft. Auch das Haus. Und wir sind nach Kalifornien gezogen.«
»An die neuen Kleider kann ich mich noch erinnern – das hat mir Spaß gemacht. Aber ich war unheimlich wütend, weil du meine alten Sachen verkauft hast. Ich hätte sie gerne noch eine Weile behalten.«
»Das ist mir erst später aufgegangen. Tut mir Leid. Jeder Mensch macht Fehler.«
Alice stützte den Kopf in die Hand und betrachtete ihre Mutter. Lizzie lag auf dem Rücken und hatte Alice das ganze Kissen überlassen.
»Das Schlimme ist«, sagte Lizzie leise, »dass er sich danach nie mehr um uns gekümmert hat. Ich habe jede Menge Lärm gemacht, als wir umgezogen sind, aber ihm war es einfach egal.«
Jetzt war es an Alice, mit ihren Fingerspitzen das Gesicht der Mutter zu streicheln. Ohne Make-up war es voller feiner Fältchen, aber Alice fand sie wunderschön.
»Und noch etwas.« Lizzie blickte Alice an. »Ich habe ihn vielleicht auf gewisse Weise sogar noch geliebt, aber für mich war er gestorben. Ich habe ihn in Long Island zurückgelassen und mein Herz vor ihm verschlossen.«
Alice hatte sich immer gefragt, wie ihr Vater sie beide einfach so hatte verlassen können. Als Ehefrau fand sie die Vorstellung schmerzlich, und als Mutter einer Tochter, die fast genauso alt war wie sie selbst damals, fand sie sein Verhalten schockierend.
»Alice«, fuhr Lizzie fort, »als dieser Scheißkerl, der Lauren ermordet hat, sie uns genommen hat, da hat er auch dich genommen. Gib ihm nicht so viel Macht über dich. Tu es nicht!« Alice traten die Tränen in die Augen. »Ich komme gegen meine Gefühle nicht an, Mom.«
»Ich bin hier, um dir das Gegenteil klar zu machen. Natürlich kommst du dagegen
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