7 Minuten Zu Spät
nachgemacht hatte: »Ich habe doch gesagt, ich war in der Apotheke!«
»Wer verbringt denn drei Stunden in der Apotheke?«
»Ein liebender Vater, der Medikamente für seinen Sohn besorgt. Was hast du denn gedacht?«
»Na, dann«, herzhaftes Lachen à la Maggie, »dann muss irgendeines deiner anderen Kinder krank sein. Unseres ist jedenfalls gesund!« Ethan machte während dieses Vortrags beide Elternteile perfekt nach und unterstrich dadurch die Absurdität ihres Verhaltens. In jeder Ehe gibt es einen Streitpunkt, bei dem keiner von beiden gewinnen kann, und so simpel ihr Ansatz war, so hatte er doch enorme Konsequenzen. Sie: Du bist untreu. Er: Bin ich nicht. Deswegen hatten sie sich schließlich getrennt.
Mike kam mit einem Teller voller Häppchen auf Lizzie zu. Sie kniff ihn liebevoll in die Wange und sagte: »Du bist wunderbar, Michael. Scheiß auf die Diät! Ich bin am Verhungern.«
Alice fragte erst gar nicht, um was für eine Diät es ging. Ihre Mutter machte gar keine Diät. Das war eine ihrer Methoden, um mit dem Leben fertig zu werden – sie leugnete bestimmte Unannehmlichkeiten einfach.
Tim ging von Gruppe zu Gruppe und wirkte sehr einsam. Höflich nickte er Lizzie zu. »Sie müssen Alices Mutter sein.«
»Sie brauchen keinen Smalltalk zu machen«, erwiderte Lizzie. Wieder nickte Tim, eine beherrschte, knappe Geste, als ob er so seine Emotionen kontrollieren würde.
»Tim, ich möchte dir helfen«, sagte Alice leise. »Wir können Austin so oft zu uns nehmen, wie es geht. Nach der Schule, wenn du arbeiten bist, an den Abenden, Wochenenden, wann immer du möchtest.«
»Danke«, flüsterte er. »Das ist lieb von euch.«
»Wir sind für dich da.« Mike tätschelte Tims Schulter. »Du brauchst nur etwas zu sagen.«
Tim antwortete nicht, sondern starrte Alice aus seinen bekümmerten Augen an, als wolle er ihr etwas sagen, schaffte es aber nicht. Nicht, weil ihm die Worte fehlten, sondern weil er es nicht über sich brachte, sie zu äußern. Es war ein seltsamer, bedrückender Augenblick, in dem das unerträgliche Gewicht seiner Trauer kurz wie weggeblasen schien. Alice blickte von einem zum anderen, um festzustellen, ob irgendjemand anderes es bemerkt hatte. Sie hätte nicht erklären können, was geschehen war, aber irgendetwas hatte sich in diesem Moment geändert.
Schließlich sagte Tim: »Ich weiß nicht, ob sie es dir erzählt hat, aber es war meine Idee, noch ein Kind zu bekommen. Ich habe mir dieses kleine Mädchen so sehr gewünscht. Und jetzt werde ich sie nie in meinen Armen halten können.« Er wurde noch blasser, und seine Stimme klang brüchig. »Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
Alice schlug das Herz bis zum Hals.
Dieses kleine Mädchen.
KAPITEL 14
A lice lief aus dem Beerdigungsinstitut hinter Frannie her. Es regnete heftig.
»Frannie!«
Die Polizistin drehte sich um. Ihr schwarzes Kostüm war schon völlig durchnässt.
»Kann ich kurz mit Ihnen reden?« Alice stellte sich unter die Markise, wo es trocken war.
Frannie nickte, blieb allerdings im Regen stehen.
»Kommen Sie her«, sagte Alice. »Sie werden ja ganz nass.«
»Ich habe eigentlich einen Termin.« Frannie zögerte. »Aber ich kann ja eine Minute später kommen.« Sie trat neben Alice unter die Markise.
»Haben Sie gehört, was Tim gesagt hat?« Frannie nickte. »Ja.«
»Tim wollte das Geschlecht des Babys gar nicht wissen, als Lauren noch am…« Alice brachte es nicht über sich, den Satz zu Ende zu sprechen.
»Noch am Leben war«, ergänzte Frannie für sie.
»Er wollte es definitiv nicht wissen, sondern sich überraschen lassen. Lauren hätte es mir erzählt, wenn er seine Meinung geändert hätte.«
Frannie legte den Kopf schief und kniff die dunklen Augen zusammen. »Alice, seien Sie mir bitte nicht böse, aber meinen Sie nicht, dass es Dinge im Leben Ihrer Freundin gab, von denen Sie nichts wissen?«
»Nein«, erwiderte Alice, obwohl ihr klar war, wie absurd das klang. »Nein, unmöglich.«
»Alice…« Sanft berührte Frannie sie am Arm.
»Lauren sagte, nur Maggie, ich und Dr. Rose, ihre Gynäkologin, wussten über das Geschlecht des Kindes und ihren Namen Bescheid. Die Ärztin hat versprochen, es Tim nicht zu erzählen.«
»Und?«
»Ich glaube nicht, dass Dr. Rose Tim etwas davon gesagt hat, dass das Baby ein Mädchen ist«, fuhr Alice fort. »Und ich glaube auch nicht, dass sie ihm gesagt hat, dass sie Ivy heißen soll. Und Sie auch nicht. Sie haben es ihm doch auch nicht gesagt, Frannie,
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