7 Werwolfstories
sie in Stimmung war, konnte Helma so stürmisch und leidenschaftlich wie eine junge Löwin sein, aber manchmal war sie merkwürdig kalt und schubste ihn weg, wenn er sie berührte und sie keine Lust hatte. Roger hatte sich gesagt, daß von allen Lebewesen nur der zivilisierte Mensch keinen zyklischen Trieb hatte, und daß Helmas seltsame Wildheit wahrscheinlich nichts weiter war als ein Rückfall in eine frühere, vielleicht reinere Zeit. Da er trotz seiner gelegentlichen Verärgerung seine Frau innig liebte, respektierte er ihre Stimmungen, und das war auch gut so; denn einmal, im ersten Jahr ihrer Ehe – bevor er erkannt hatte, wie tief dies in Helmas Natur verwurzelt war –, war er nicht so tolerant gewesen und hatte versucht, sie gegen ihren Willen zu nehmen. Auf seiner Wange war immer noch die schmale weiße Linie zu sehen, wo ihre wilden Finger eine tiefe Furche gekratzt hatten. Sie hatte später heftig schluchzend seine Verzeihung erfleht, aber Roger hatte es nie wieder riskiert. Er wußte, daß bis zu einem gewissen Grad in der Natur der Frau eine Periodizität liegt; und außerdem war sie eine wunderbare Geliebte, wenn sie geneigt war, sich ihm zu ergeben.
In den folgenden Tagen und Wochen war Helma ungewöhnlich ruhig, gedämpft und fügsam. Der Sommer ging zu Ende; die trockenen Blätter fielen von den wehrlosen Zweigen, und das Pfeifen des Herbstwindes tönte wie ein Klagelied durch den verlassenen Wald. Helma streifte am Tag über die unter Blättern begrabenen Waldwege, aber nicht ein einzigesmal rannte sie nachts weg, und Roger Lassiter begann sich zu fragen, ob sie tatsächlich seßhaft wurde. Sicher war es nach vier Ehejahren an der Zeit, daß Helma endlich weicher und zufriedener aussah, daß ihr Körper etwas von seiner Eckigkeit verlor. Fröhlich ging sie ihrer Hausarbeit nach. Das Haus war immer ordentlich und sauber gewesen, doch jetzt blitzte es förmlich vor Seife und Wachs und gebohnerten Fußböden, und Helma selbst sah aus wie eine wohlgepflegte Katze. Sogar ihr schneller, tanzender Gang schien – obwohl noch genauso graziös wie früher – ein wenig fester und gebändigter geworden zu sein. Und an manchen Abenden, wenn Roger von seiner Arbeit in einer chemischen Fabrik heimkehrte, hörte er sie singen. Mit einer seltsamen, summenden Altstimme, fast ohne Melodie, aber in präzisen rhythmischen Kadenzen ansteigend und wieder fallend, die von süßem Wohlklang waren.
Sie sagte ihm niemals direkt, daß sie schwanger war. Roger fragte sie auch nicht, obgleich er es schon im September vermutet hatte, weil er annahm, sie wollte den Zeitpunkt dafür selber wählen; aber sie sagte nichts, und schließlich fragte er sie nur: »Wann?«
»Zu Frühlingsbeginn«, antwortete sie und warf aus ihren grünlichen Augen einen halb sorgenvollen Blick auf sein frohes Gesicht.
Er sagte sanft: »Siehst du, Helma, du hast dich geirrt. Bist du nicht glücklich darüber?«
Sie schwieg, legte jedoch ihr Buch beiseite, hockte sich ihm zu Füßen auf den Teppich und barg ihren Kopf mit dem dichten, kurzen glatten Haar in seinem Schoß. Er streichelte sie, und sie schloß die Augen und lehnte sich an sein Knie. Nach einem Weilchen begann sie zu summen, und er lächelte. »Was ist das für ein Hexenlied, Helma? Ich habe dich früher nie singen gehört. Ich wußte gar nicht, daß du eine Note von der anderen unterscheiden kannst.«
»Das kann ich auch nicht.« Sie lächelte spitzbübisch und rätselhaft zugleich. »Ich erinnere mich, daß meine Mutter so gesungen hat, als ich noch ganz klein war.«
»Wie war deine Mutter?« fragte er.
Helma lachte leise: »Wie ich!«
»Das hätte ich sehen mögen! Und dein Vater?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht.
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