7 Werwolfstories
Vielleicht jemand wie – du. Vielleicht war er – anders. Vielleicht hatte ich nie einen Vater. Ich kann mich nicht erinnern.«
Roger ließ sich nicht abspeisen. »Hat deine Mutter dir nie von ihm erzählt?«
Helma entzog sich plötzlich den streichelnden Händen ihres Mannes und blickte durch die Haarsträhnen zu ihm auf. »Du würdest meine Mutter für wahnsinnig gehalten haben«, sagte sie mit unbewegter Stimme. »Sie sagte, mein Vater wäre ein Luchs – eine Wildkatze, wie sie es nannte.«
Roger fröstelte plötzlich, als ob aus dem molligen Kaminfeuer ein eisiger Wind geblasen hätte. »Rede keinen Unsinn, Helma.«
Sie zuckte mit den Schultern. »Du hast mich gefragt. Das pflegte Mutter zu sagen. Sie war verrückt, viel verrückter als ich. Sie lebte auf einem Hof hoch in den Bergen, nur mit ihrem Großvater und einer jüngeren Schwester. Oft lauschte sie Jägergeschichten über Männer und Frauen, die sich bei Vollmond in Wölfe und Wildkatzen verwandelten und nachts durch die Wälder streiften. Ich habe alte Männer wie Grauwölfe heulen gehört, wenn das Mondlicht den Schnee taghell aufglitzern ließ, und ich habe gesehen, wie sie rotäugig durch die Schatten schlichen …«
»Bist du krank gewesen?«
»Nein. Wieso? Als kleines Mädchen bin ich oft bei den Jagdhütten gewesen. Manchmal ging ich einen Pfad entlang, und direkt über mir schlich eine Wildkatze auf einem Ast, ohne ein einzigesmal zu fauchen, und ich konnte mit den bloßen Händen Hasen fangen. Das kann ich immer noch.« Jetzt war ihr Lächeln eindeutig boshaft.
»Du glaubst nicht an diese alten Geschichten, stimmt’s? Bis zu ihrem Tod rannte meine Mutter jedesmal, wenn Vollmond war, in den Wald. Sie hat behauptet, daß mein Vater ein Luchs war, nicht ich. Kannst du dir vorstellen, daß ich mich eines Nachts in eine Wildkatze verwandeln und dir die Gurgel zerreißen könnte? Eine Silberkugel würde gar nichts nützen. Das ist bloß ein Ammenmärchen. Nur ein eisernes Messer, ein Messer mit einer kalten Eisenklinge, kann ein verwandeltes Tier töten – so sagen sie selbst. Eisen oder Blei. Hast du Angst vor mir?« Sie lachte, und über Rogers steife Arme lief eine Gänsehaut.
»Um Gottes willen, hör auf damit!« schrie er.
Ihr Körper versteifte sich, und sie rückte weg.
»Tut mir leid. Aber du hast mich gefragt.«
In dieser Nacht träumte Roger Lassiter, daß er durch einen schwarzen, kahlen Wald wanderte, während grüne Katzenaugen, denen von Helma beängstigend ähnlich, ihn von niedrigen Ästen aus betrachteten.
Sie kam vor dem Morgengrauen heim, mit zerrissenem Kleid und blutigen Beinen, zitternd vor Kälte, und kauerte sich schluchzend unter den angewärmten Decken zusammen, während der bestürzte und entsetzte Roger ihre von Dornen zerkratzten Beine wusch, ihr gewaltsam Brandy einflößte und zum erstenmal, seit sie verheiratet waren, energisch wurde.
»Dieser verdammte Blödsinn muß aufhören, Helma. Ich dachte, daß du jetzt, da das Baby unterwegs ist, vernünftiger werden würdest.
Jetzt hör genau zu. Du gehst heute zu einem Arzt, und wenn ich dich hintragen muß. Du wirst nachts im Haus bleiben, und wenn ich dich einsperren müßte. Ich weiß, daß Schwangere seltsame Einfälle haben können, aber du benimmst dich wie eine Verrückte, und jetzt ist Schluß damit.« Zum erstenmal machten ihre Tränen und Entschuldigungen keinen Eindruck auf ihn. Er löffelte Milch durch ihre aufeinander schlagenden Zähne und fuhr mit schmalen Lippen fort: »Noch ein solches Husarenstückchen, Helma – nur noch eins! –, und wir ziehen zurück nach Albany, wenigstens bis das Baby da ist. Helma, wenn du mich zwingst, dich von einem Psychiater untersuchen zu lassen, dann …«
Er brachte es nicht über sich, die
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