7 Werwolfstories
mit einer Eisenklaue, in die irgendwelche Tierzähne eingesetzt sind, so wie man es bei den Leopardenmännern in Afrika findet, was weiß ich. Und was die nackten Füße betrifft, so bestärkt mich das nur in der Annahme, daß es sich um einen Verrückten handelt.«
Ich fühlte mich erleichtert. Einen Moment lang hatte ich etwas anderes befürchtet.
Wir waren bis zum Vergnügungsviertel gegangen, dem Broadway von Chicago, wo sich eine Kette von Restaurants, Kinos und glitzernden Nachtbars entlang Randolph und State Street drängt. Die meisten Vorstellungen waren schon zu Ende, und die Reklamelichter erloschen, bis auf die der Cafeterias, die die ganze Nacht geöffnet waren.
»Rein theoretisch«, sagte er überlegend, »was spricht gegen die moderne Version eines Werwolfs?«
»Nichts«, sagte ich zögernd. »Wenn sie vor zweihundert Jahren existierten, dann kann es sie auch heute geben. Dagegen spricht nur, daß sie höchstwahrscheinlich niemals in Wirklichkeit vorgekommen sind.«
»Und doch spricht einiges dafür«, sagte er. »Vor ein paar hundert Jahren waren die Berichte über Werwölfe, Hexen und ähnliches zu weit verbreitet, hatten einen zu festen Platz im Leben der Menschen, als daß es sich nur um Erfindungen hätte handeln können. Wo es so viel Rauch gibt, muß auch ein Feuer sein.«
»Jeder moderne Psychologe könnte dafür eine Erklärung geben«, sagte ich. »Die primitiven einfachen Bauern litten so lange unter diesen Wahnvorstellungen, bis sie überschnappten und sich einbildeten, sie selber seien Werwölfe und Vampire. Dann gingen sie daran, andere in bester Werwolf- oder Vampir-Manier umzubringen.«
Wir hatten jetzt Van Buren Street erreicht und gingen weiter nach Westen in ein kaltes, schneeverwehtes Niemandsland verlassener Straßen und dunkler Gebäude. Selbst die Straßenlampen sahen kalt und eingefroren und einsam aus.
»Außerdem«, sagte ich, wobei mein Atem kleine Nebelwirbel bildete, »stützt sich unsere Annahme, daß sie früher existierten, auf alte Legenden, auf Geschichten, die von Generation zu Generation überliefert wurden. Aber heute rennt doch niemand herum und schreit ›Werwolf!‹ wie damals.«
Er blieb einen Augenblick stehen und leuchtete mit der Taschenlampe in eine Gasse. »Vor ein paar hundert Jahren«, sagte er, »waren die Städte klein, die Familien hielten eng zusammen, jeder kannte jeden. Man wußte immer, wer gestorben war, wann und wie. Stellen Sie sich dagegen eine moderne Stadt vor, mit all den Leuten, die mal zuziehen, mal wegziehen, mit all denen, die an nichts und niemanden gebunden sind; die anonyme Masse, in der keiner den anderen kennt. Haben Sie mal in der Statistik nachgeschaut, wieviel Menschen pro Jahr ermordet werden? Die nicht Identifizierten und die Unbekannten? Binnen vierundzwanzig Stunden spricht kein Mensch mehr von ihnen. Niemand weiß, wer sie waren, niemand interessiert sich dafür, wie sie starben.«
Eine Straßenbahn fuhr ratternd an uns vorbei; müde Gesichter blickten durch die bereiften Fenster. Sie bog um eine Ecke, und das Geräusch der Räder erstarb. Wieder war nur das Knirschen unserer Schritte im Schnee zu hören.
Es wurde kälter, und die Luft stach wie mit Nadeln.
»Ich wohne in einem Appartementhotel ein paar Blöcke weiter«, sagte er. »Wie wäre es mit einer Tasse Kaffee und Krapfen? Etwas Warmes, damit wir den Rest der Nacht besser überstehen.«
»Danke«, sagte ich. »Ich bin nicht sonderlich hungrig, aber eine Tasse Kaffee könnte ich brauchen.«
Der Schnee bedeckte die Straßen und Bürgersteige, und die Umrisse der Fenster hoben sich scharf ab.
»Wissen Sie«, sagte er ruhig, »die Umstände heute nacht stimmten
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