7 Werwolfstories
genau. Vollmond, ein kurzes Aufklaren, und das Mädchen starb um Mitternacht.«
Es war nur ein Zimmer mit einem schmalen Bett, einem Herd und einem Eisschrank. An der einen Wand stand eine Kommode, darüber hingen zwei schmierige, mit Papier ausgelegte Regale, die als Vorratsschrank dienten. An das Zimmer schloß sich eine kleine Kammer an.
»Sie müssen nicht glauben, daß ich einen Hang zur Morbidität habe«, sagte er, »aber es schult das Vorstellungsvermögen, wenn man über derartige Dinge gründlich nachdenkt. Man kann alte Mythen in die Gegenwart transponieren und sich zum Beispiel vorstellen, daß alle Werwölfe und Vampire in die Stadt gezogen sind und sich dort niedergelassen haben.«
Er setzte Wasser zum Kochen auf und holte ein kleines Glas Pulverkaffee. Ich zog zwar frisch gebrühten Kaffee vor, konnte aber verstehen, daß man es sich in dieser Wohnung so einfach wie möglich machen mußte.
»Ich vermute«, sagte ich, »daß sie sich tagsüber verstecken und erst bei Nacht zum Vorschein kommen würden.«
»So stelle ich es mir auch vor. Die nächtliche Stadt würde natürlich ihnen gehören.«
Ich nahm die Tasse Kaffee, die er mir anbot, und tat etwas Zucker hinein.
»Natürlich hat diese Theorie einige schwache Stellen«, sagte ich. »So würde man zum Beispiel zu viele Leichen mit zwei kleinen Löchern im Hals finden oder Leichen, die aussehen, als ob sie von Wölfen zerfleischt worden seien, und ähnliche kleine Schönheitsfehler. Das könnte einige Verlegenheiten mit sich bringen.«
»Ich glaube nicht, daß man je darüber sprechen würde«, sagte er. »Sie würden so gut organisiert sein, daß sie ihre Spuren verwischen könnten. Nehmen wir mal das Mädchen von heute nacht. Wenn Sammy wollte, könnte er das Ganze in der Versenkung verschwinden lassen, indem er dafür sorgt, daß keine Informationen an die Öffentlichkeit dringen, daß kein Mensch etwas erfährt. Er würde es einfach nicht melden, und niemand hätte die leiseste Ahnung. Dann bliebe nur noch ein Zimmer im Südviertel übrig, dessen Bewohnerin spurlos verschwunden ist, unter Zurücklassung von ein paar billigen Kleidchen, einem halben Laib Brot und einem leeren Erdnußbutter-Glas.«
Es war warm im Zimmer. Ich legte die Jacke ab und knöpfte den Hemdkragen auf.
»Das mit dem Erdnußbutter-Glas gefällt mir, das gibt der Sache ein gewisses Flair. Um die Geschichte abzurunden, sollten Sie noch sagen, daß die Wirtin die Kleidung als Ersatz für die ausstehende Miete konfiszieren, Brot und Glas wegwerfen und das Zimmer an jemand anders vermieten würde. Es würde keine Spur übrigbleiben, kein Hinweis darauf, daß das Mädchen jemals lebte. Ihr Chef würde eine andere einstellen – zweifellos eine Hübschere –, und das wäre alles.«
Ich lockerte den Gürtel etwas. »Nur geht es nicht so. Es gehört zur Arbeit eines Reporters, überall herumzuschnüffeln und solche Geschehnisse aufzudecken. Sammy würde es nicht wagen, den Fall zu vertuschen. Wenn er es täte, würden ihn die Zeitungen am nächsten Tag fertigmachen.«
»Es war ja nur so hingesagt«, meinte er. »Wenn man eine solche Idee bis zum Ende verfolgt, zeigt sich natürlich, wie unwahrscheinlich sie ist – zu unser aller Glück. Noch etwas Kaffee?«
Ich schob meine Tasse über den Tisch. »Außerdem glaube ich nicht, daß sie organisiert sein würden. Jeder würde ein einsamer Jäger sein.«
»Guter Vergleich«, lachte er, »aber ich bin anderer Meinung. Ich glaube, sie würden sich in Gruppen aufteilen, und jede Sippe hätte ihr eigenes Gebiet, die Werwölfe zum Beispiel Chicago und Umgebung, die Vampire New York.«
»Und die Hexen würden sich um Providence und Salem kümmern, um dem frommen
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