7 Werwolfstories
Kaskaden der Töne, die Newcliffes großem Baldwin-Flügel entströmten, noch erstaunlicher wirkten; die anderen Gäste hatten den ganzen Abend darauf gewartet.
Für Foote, den Maler, in dessen Ohr jegliche Musik wie Blechgerassel klang, war es kein Genuß. Es war ein enormer, ominöser Lärm, der gelegentlich abschwoll, um die Wiederholung einer Beschwörungsformel zu gestatten, deren Sinn ihm verborgen blieb.
Der Raum war stickig und erschien ihm nur halb so groß wie am Nachmittag. Foote kam es vor, als ob er das einzige Lebewesen darin sei, außer Jan Jarmoskowski. Die übrigen Gäste waren Wachsfiguren, die sich als in einem ästhetischen Trancezustand befangene Menschen ausgaben.
Über Jarmoskowskis Vitalität konnte es keinen Zweifel geben. Er sah nicht besonders gut aus, doch in ihm schien eine animalische Kraft zu stecken, die ihn attraktiv machte – das und die Schönheit der Präzision, mit der diese Kraft beherrscht wurde. Wenn seine großen, behaarten Hände auf die Tasten herniederfielen, erwartete man, daß der Flügel in Stücke sprang. Doch war der Anschlag seiner Finger bis auf ein Dyn kalkuliert.
Es war merkwürdig, hinter einem derartigen Gesicht soviel Zartheit zu entdecken. Das Haar auf seinem Rundschädel war zu lang, obwohl Jarmoskowski durchaus keine Musikertolle trug. Die Augenbrauen waren gerade und rechtwinklig und so buschig, daß sie sich über der gebogenen Nase zu treffen schienen.
Von seinem Platz aus bemerkte Foote zum erstenmal die merkwürdige Stellung der Ohrmuscheln des Polen, nach vorn geneigt, wie bei einem lauschenden Tier, so daß der obere Ansatzpunkt der Muschel höher war als die Knorpelleiste. Die Ohren schienen sich direkt in Richtung auf die Tasten nach vorn zu stellen, was Foote stark an den Hund auf dem Warenzeichen der Platten von His Masters Voice erinnerte.
Wo hatte er einen solchen Kopf schon einmal gesehen? Vielleicht bei Matthias Grünewald, auf dem Seitenflügel des Isenheimer Altars, wo die Versuchung des heiligen Antonius dargestellt ist. Oder war es eine der Illustrationen im Red Grimoire gewesen, jenen primitiven Holzschnitten, die von Chris Lundgren ›die Rorschach-Tests des mittelalterlichen Menschen‹ genannt wurden?
Auf einem Tischchen neben dem Sessel lag die brennende Zigarette des Malers in einem Aschenbecher aus Onyx, auf dessen Rand sich eine winzige Tänzerin aus Metall erhob. Aus dem Mundstück quoll eine weiße Rauchspirale nach unten und verbreiterte sich dort zu einem statischen Schwaden, der gegen das dunkle Holz wie der verschwommene Umriß eines Einzellers aussah. Jetzt verebbten die Töne plötzlich, und die Beschwörungsformel wurde gesprochen, drei gleichförmige Silben, gefolgt von einem antwortenden Wehegeheul. Die Mitte des Rauchschwadens hob sich ruckartig, als ob man etwas hineingeworfen hätte. Dann brauste der Flügel unter Jarmoskowskis Fingern wieder auf, und Foote kam es vor, als ob der Rauchschwaden sich mehr und mehr zu der Figur der metallenen Tänzerin formte. Sein Mund wurde trocken, und er rutschte bis zum Rand des Sitzes vor.
Die Transkription endete mit drei scharfen Akkorden, ein Schluß, der die drei abgehackten Noten der Beschwörung anklingen ließ. Die Rauch-Figurine schwankte und fiel in sich zusammen, als ob man sie erstochen hätte; dann löste sie sich schnell in Nichts auf. Jarmoskowski machte eine Pause, legte nachdenklich die Fingerkuppen gegeneinander und spielte dann seine eigene Komposition Galliard Fantasque.
Die Wachsfiguren rührten sich nicht, aber ein leiser, geisterhafter Seufzer des Erkennens kam von ihren unbewegten Lippen. Durch das
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