7 Werwolfstories
die Hände eines unsichtbaren Bildhauers den lebenden Ton kneteten und modellierten und die Knochenstruktur in eine neue Form drückten.
Der lange Kopf schien einen Moment lang wunderlich kahl zu sein, dann sprang das feine Fell hoch, die Ohren stellten sich nach außen, und ihre rosa Spitzen zuckten an einem verdickten Hals entlang.
Die Augen stellten sich schräg, während sich die Züge ihres Gesichts verkrampften und in eine lange Schnauze verwandelten. Das unfreiwillige, maskenhafte Grinsen wurde zu einem drohenden Fletschen, und dann sprangen die Zähne hervor.
Die Kleidung war von ihr abgefallen, und ich konnte die Umwandlung ihrer Glieder sehen, als sie sich verkürzten, mit Fell bedeckten und sich wieder streckten. Die Hände, die in höchster Pein in der Erde gescharrt hatten, wurden zu Pfoten.
Der ganze Prozeß dauerte rund drei und eine halbe Minute. Ich weiß es, denn ich habe auf die Uhr gesehen.
O ja, ich habe die Zeit genau gestoppt. Ich hätte eigentlich Angst haben sollen. Aber nicht jedem Menschen bietet sich die Gelegenheit, zuzuschauen, wie aus einer Frau ein Wolf wird. Ich betrachtete die Transformation sozusagen mit professionellem Interesse. Die Faszination verdrängte die Angst.
Jetzt war die Verwandlung beendet. Der Wolf stand vor mir, sprungbereit und keuchend.
Jetzt verstand ich natürlich alles. Verstand, warum Lisa so wenige Bekannte hatte, warum sie so viele Abende allein verbrachte, warum sie mich gedrängt hatte, wegzugehen – und warum sie das Verhalten des Phantomwolfs so sicher voraussagen konnte.
Ich stand da und lächelte.
Die wilden Augen blickten mich flehend an. Ich nehme an, sie hatte erwartet, daß ich Schreck, Furcht oder zumindest Abscheu zeigen würde.
Mein Lächeln war eine unerwartete Antwort. Aus dem fellbedeckten Hals stieg ein Winseln empor, das sich fast zu einem Schnurren steigerte. Jetzt war sie beruhigt.
»Du solltest dich auf den Weg machen«, wisperte ich.
Sie zögerte noch. Ich bückte mich und tätschelte den Kopf, der vom Schweiß der überstandenen Pein noch feucht war. »Es ist ja alles gut«, sagte ich. »Ich verstehe, Lisa. Du kannst mir vertrauen. Und es ändert nichts an meinen Gefühlen.«
Das Schnurren erstarb in der zottigen Brust des riesigen Wolfs.
»Los, beeile dich«, redete ich ihr zu. »Violet ist ganz allein. Du hast versprochen, sie zu überraschen.«
Das graue Tier wandte sich um und trottete auf den Wald zu.
Ich ging zum See hinunter und sah dem Spiel der Mondstrahlen auf der Wasseroberfläche zu.
Schlagartig brach die verzögerte emotionelle Reaktion über mich herein. Alles war klar – zu klar.
Ich hatte mich mit einem Mädchen verbündet, um meine Frau in den Wahnsinn zu treiben. Das Mädchen war selbst nicht ganz normal. Und jetzt hatte ich erfahren, daß sie ein Werwolf war. Vielleicht war auch ich leicht verrückt.
Aber so war die Lage, und ich wußte keinen Ausweg. Ich konnte nicht mehr zurück. Alles würde sich plangemäß entwickeln. Und schließlich würde ich haben, was ich wollte. Aber – wollte ich es noch?
Plötzlich brach ein Schluchzen aus mir heraus.
Es war weder Reue noch Selbstbemitleidung, noch Furcht. Es war nur ein Gedanke, der mich überfallen hatte – die Vorstellung, daß ich Lisa in den Armen hielt und spürte, wie sie sich verwandelte; daß ich Lisas rote Lippen küßte und sich plötzlich die Schnauze eines Wolfs gegen meinen Mund preßte.
Mein Schluchzen wurde von einem Geheul unterbrochen, das aus der Tiefe des Waldes höhnisch zu mir drang.
Ich hielt mir die Ohren zu und schauderte.
Plötzlich fand ich mich wieder, wie ich durch den Wald rannte. Ich konnte jetzt kein Geheul mehr hören, doch das Keuchen meiner Atemzüge dröhnte in meinen Ohren. Ich rannte wie
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