7 Werwolfstories
blinzelte. Der dicke Leon starrte mich wieder an.
»Haben Sie das Heulen von ›le loup‹ gehört?« flüsterte er.
Mein Kopf bewegte sich verneinend. Ich hoffte, daß er darauf achtete und nicht auf meine zitternden Hände.
»Seltsam. Man möchte meinen, daß das Echo über den See getragen würde.«
»Aber hier gibt es doch keine Wölfe.«
»Ah!« hauchte Leon. »Sie irren sich.«
»Woher wissen Sie das?«
»Erinnern Sie sich an Big Pierre, den Führer – der Dunkle, der auf der anderen Seite des Sees wohnt?« fragte Leon.
»Ja.«
»Big Pierre ist gestern mit einer Gruppe zum Fluß aufgebrochen. Seine Tochter Yvonne blieb zurück im Blockhaus. Sie war in der Nacht allein. Daher wissen wir über den Wolf Bescheid.«
»Sie hat es Ihnen erzählt?«
»Sie hat es uns nicht erzählt, non. Aber heute früh kam le bon Docteur Meroux an ihrer Tür vorbei und hielt an, um ihr guten Morgen zu sagen. Er fand sie im Hof. ›Le loup‹ hatte sie in der Nacht attackiert, möge ihre Seele in Frieden ruhen.«
»Tot?«
»Certainement. Man mag nicht daran denken. Doktor Meroux verlor die Spur im Wald, aber wenn Big Pierre zurückkommt, wird er das Untier aufspüren, ja.«
Dr. Meroux schob sich die Theke entlang, sein Schnurrbart sträubte sich förmlich vor Aufregung.
»Was halten Sie davon, Charles? Ein Einsiedlerwolf in unserem Bezirk – ein Mordwolf. Ich werde die Mounted Police benachrichtigen und dafür sorgen, daß eine Warnung herausgeht. Wenn Sie die Leiche des armen Kindes gesehen hätten …«
Ich stürzte den Inhalt meines Glases hinunter und wandte mich hastig zum Gehen.
»Violet!« stieß ich hervor. »Sie ist ganz allein. Ich muß sofort zurück!«
Ich stolperte aus Leons Taverne und eilte die sonnenbeschienene Straße entlang.
Jetzt wußte ich, wo Lisa hingegangen war, nachdem sie Violet verlassen hatte. Jetzt wußte ich, daß Werwölfe mehr tun, als nur ihre Gestalt zu verwandeln.
Ich hielt auf den Verkaufsstand zu. Er war geschlossen. Alle Vorsicht in den Wind schlagend, rannte ich zur Tür. Die einzige Antwort auf mein Klopfen war das Murmeln des gelähmten Greises.
Gerade als ich mich zum Gehen wandte, öffnete sich die Tür. Lisa stand da und blinzelte in das Sonnenlicht. Sie war blaß und erschöpft, und ihr Haar hing offen über ihren nackten Rücken.
»Charles – was gibt es?«
Ich zog sie in den Schatten der Bäume hinter dem Haus. Sie sah zu mir hoch. Ihr Gesicht war von Erschöpfung gezeichnet, ihre Augen waren stumpf vor Müdigkeit.
Dann schlug ich hart zu. Sie zuckte weg, versuchte sich zu ducken, aber meine andere Hand hielt ihre Schulter umklammert. Ich schlug sie wieder. Sie begann leise zu winseln, wie ein Hund. Wie ein Wolf.
Wieder schlug ich mit aller Kraft zu. Mein Hals war wie zugewürgt, und ich brachte die Worte nicht deutlich hervor.
»Du Närrin!« japste ich. »Warum hast du es getan?«
Sie weinte. Ich schüttelte sie heftig.
»Hör auf! Glaubst du, ich weiß nicht, was in der letzten Nacht geschehen ist? Und die anderen wissen es auch. Warum hast du es getan, Lisa?«
Da verstand sie und wußte, daß sie keine Hoffnung hatte, mich täuschen zu können.
»Ich mußte«, wisperte sie. »Du hast ja keine Ahnung, wie es ist. Nachdem ich deine Frau in der Hütte verlassen hatte, ging ich um den See herum zurück. Da war es, daß – es über mich kam.«
»Was kam über dich?«
»Der Hunger.«
Sie sagte es ganz schlicht.
»Das kannst du nicht verstehen, nicht wahr? Wie der Hunger über einen kommt. Er nagt an deinem Magen, und dann nagt er an deinem Gehirn, bis du nicht mehr denken kannst. Du kannst nur noch – handeln. Und als ich an Big Pierres Blockhaus vorbeikam, stand Yvonne in der Dunkelheit am Brunnen und holte Wasser. Ich erinnere mich, daß ich sie dort stehen sah, und dann – weiter weiß ich nichts mehr.«
Ich schüttelte sie, daß ihre
Weitere Kostenlose Bücher