711 N. Chr. - Muslime in Europa
Konstantinopel inzwischen auch auf See die Stirn zu bieten. Mit Caesarea Maritima im heutigen Israel und Alexandria hatten sie zwei bedeutende Häfen erobert. Durch Übertritte zum Islam aus den Reihen der Küstenbewohner wurden die Wüstenkrieger in die Lage versetzt, von nun an auch das Meer militärisch zu nutzen und zu beherrschen. Byzanz geriet damit weiter in Bedrängnis. Im Jahre 649 griff die muslimische Flotte Zypern an, 655 errang sie in der »Schlacht der Masten« einen entscheidenden Sieg gegen die Oströmer. Nachdem sie sich 673 der Insel Rhodos bemächtigt hatte, belagerte sie einige Monate später gar Konstantinopel. Einzunehmen vermochten die Muslime die Metropole am Bosporus jedoch nicht trotz zahlreicher Versuche. Während die Truppen des Kalifen im Jahre 711 im Osten gegen die Grenzen |39| des chinesischen Reiches anrannten, setzte Tausende von Kilometern weiter westlich Tariq ibn Ziyad zum Sprung über die Meerenge von Gibraltar an.
D-Day am Mittelmeer
Gibraltar, Frühjahr 711. Es geht los. Das Unternehmen ist eine logistische Meisterleistung. Einige tausend Daus stehen bereit, um die rund 7000 berberischen und arabischen Krieger mit ihren Reittieren von Ceuta aus überzusetzen. Bei klarem Wetter kann man von der afrikanischen Küste aus den markanten Felsen erkennen, der später den Namen des großen Feldherrn bekam: Djebel at-Tariq – Felsen des Tariq. Die spanische Küste scheint zum Greifen nah. Kaum mehr als zwanzig Kilometer gilt es zu überwinden. Doch das Meer ist mehrere Hundert Meter tief und das rettende Land zumindest für einige Stunden weit entfernt. Monatelang hatte Tariq auf diesen Tag gewartet. Allein der Flottenbau hatte Zeit gekostet. Zeit und eine Menge kostbares Bauholz. Auch musste man Erkundigungen über die Stärke des Gegners einholen. Die Erkundungstrupps waren mit guten Nachrichten zurückgekehrt. Sie waren bei ihrem Weg ins Landesinnere auf nur wenige Bewaffnete gestoßen. Gute Aussicht auf reiche Beute. Wenn man sich aber auf der gegenüberliegenden Seite des Meeres dauerhaft halten wollte, musste der Nachschub über das Meer gesichert sein – eine neue Situation in der Geschichte der beinahe einhundertjährigen Expansion der Muslime, die bislang vor allem über Land verlaufen war.
Tariq ist froh, als er wieder festen Boden unter den Füßen hat. Einige seiner Gefährten hatten in Anbetracht der unruhigen See ihren Mageninhalt von sich gegeben. Er hatte an sich halten können, obwohl auch ihm nicht wohl war. Ihre Ankunft ist allerdings nicht unentdeckt geblieben – Fischer haben sie gesehen. Auch wenn diese nicht wissen können, was die vielen arabischen Schiffe zu bedeuten haben, ist doch klar, dass sie kaum in friedlicher Absicht gekommen sind.
Während der Großteil des arabisch-berberischen Heeres nach kurzer Rast die Küste verlässt, errichten die Zurückgebliebenen |42| einen Brückenkopf. Auf ihrem Weg ins Landesinnere stoßen die Invasoren kaum auf Widerstand. Wann wird ihnen das königliche Heer entgegentreten? Mit dieser Frage schläft Tariq an diesem schicksalhaften Tag ein.
|40| Das Wissen vom Islam im frühmittelalterlichen Abendland
Von den gewaltigen Umwälzungen, die im Herzen der Arabischen Halbinsel ihren Ausgang genommen hatten, nahm man im frühmittelalterlichen Abendland kaum Notiz. Am Vorabend der muslimischen Invasion auf der Iberischen Halbinsel waren der Prophet Mohammed und die Inhalte des neuen Glaubens noch weitgehend unbekannt. Das lässt sich am ehesten damit erklären, dass parallel zur Islamisierung des Vorderen Orients und Nordafrikas die Christianisierung weiter Teile Europas noch im Gange war. Bonifatius, der Apostel der Deutschen, wurde 719 mit der Mission in Germanien betraut – acht Jahre, nachdem die Muslime bei Gibraltar gelandet waren. Die Nachrichtenwege waren weit, und der Austausch zwischen Byzanz und den germanischen Reichen, die auf den Ruinen des Imperium Romanum entstanden waren, gestaltete sich aus verschiedenen Gründen schwierig.
So gelangten nur spärliche Informationen über Mohammed und seine Anhängerschaft in den Westen. Dass diese stark legendenhaften Charakter hatten, zeigt das Beispiel der vor der Mitte des 7. Jahrhunderts entstandenen Chronik des Fredegar. Darin heißt es, der byzantinische Kaiser Herakleios sei sehr an den Wissenschaften interessiert gewesen, eine seiner Vorlieben die Astrologie. Er selbst habe aus den Sternen gedeutet, dass sein Reich durch göttlichen Willen von den
Weitere Kostenlose Bücher