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711 N. Chr. - Muslime in Europa

711 N. Chr. - Muslime in Europa

Titel: 711 N. Chr. - Muslime in Europa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kay Peter Jankrift
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Plünderern heimgesucht wurde. Vor seiner Thronbesteigung 710 war er für die Verwaltung der Baetica zuständig gewesen, die sich in etwa vom heutigen Almería im Osten bis zur heutigen portugiesischen Grenze am Fluss Guadiana erstreckte. Doch dieses Mal waren die berittenen Trupps deutlich größer gewesen und ungewöhnlich weit ins Landesinnere eingedrungen. Zudem hatten sie sich mit wenig Beute zufrieden gegeben. Was hatte das zu bedeuten?
    Roderich regierte das Westgotenreich erst seit wenigen Monaten. Über seine Person ist wenig bekannt. Die spärlichen Angaben einer asturischen Chronik aus dem 9. Jahrhundert benennen Theodefreth, den Bruder des 672 verstorbenen Königs Rekkeswinth, als seinen Vater. Der Verschwörung verdächtigt, wurde Theodefreth geblendet und aus der westgotischen Hauptstadt Toledo verbannt. Der Verbannte ließ sich in Córdoba nieder. Dort heiratete er Ricilo, eine Frau aus begütertem Haus, die Mutter König Roderichs. Der sogenannten »Mozarabischen Chronik« aus der Mitte des 8. Jahrhunderts zufolge war Roderichs Thronbesteigung von innenpolitischen Konflikten überschattet. »Stürmisch« habe der König die Herrschaft übernommen, heißt es darin. Die vagen Angaben des anonymen Geschichtsschreibers geben bis heute Anlass |45| zu Diskussionen über den genauen Ablauf der Ereignisse. Der vorherrschenden Deutung gemäß wurde Roderich auf einer Versammlung weltlicher Großer und Bischöfe nach dem Tod König Witizas (reg. 700/02–710) mehrheitlich zu dessen Nachfolger gewählt. Die Machtkämpfe innerhalb des westgotischen Adels dauerten zu dieser Zeit schon seit mehr als dreißig Jahren an. Mit der Thronerhebung Wambas im Jahre 672 hatte die zuvor von König Chindaswinth (reg. 642–653) begründete Dynastie die Herrschaft verloren. Will man der Chronik des Königs Alfons III. von Asturien (866–910) glauben, dann stammte Roderich durch seinen Vater Theodefreth in direkter Linie von Chindaswinth ab. Roderichs Wahl zum König hätte damit eine Wiederanknüpfung an die alte dynastische Tradition bedeutet. Dagegen leisteten die Familie des verstorbenen Königs Witiza und deren Anhänger, die auf das Erbrecht pochten und einen Nachfolger aus ihren Reihen stellen wollten, erbitterten Widerstand. Sie erhoben Agila II. (reg. 710/711–716) zum Gegenkönig. So regierte Roderich de facto wohl nur den größten Teil, nicht aber die Gesamtheit des Westgotenreiches. Trotz der Gefahr, die dem Reich durch die expansionslüsternen Nachbarn aus Nordafrika drohte, setzten sich die innenpolitischen Querelen fort. Diese Situation hat sich deutlich auf die Bewertung der muslimischen Invasion im Frühjahr 711 in der christlichen Geschichtsschreibung niedergeschlagen. Schon die im Jahre 754 verfasste »Mozarabische Chronik« erwähnt, dass ein Bruder des verstorbenen Königs Witiza, Bischof Oppa von Sevilla, gemeinsame Sache mit den Muslimen gemacht habe. In späteren Geschichtswerken tauchen die sogenannten anti-witizianischen Legenden in verschiedenen Varianten auf, die heute allgemein als bewusste Verzerrungen angesehen werden. Im Mittelpunkt steht dabei stets das Motiv des Verrats durch die Söhne Witizas und Bischof Oppa. Nicht genug damit, führten die am Ende des 9. Jahrhunderts im Umfeld König Alfons’ III. wirkenden Chronisten ihre Deutung über politische Aspekte hinaus. Nach ihrer Interpretation erfolgte die Vernichtung des Westgotenreiches als göttliche Strafe für den unchristlichen Lebenswandel der Herrschenden. Witiza und seine Söhne, so heißt es, hätten mehrere Ehefrauen genommen und sich ungeniert mit Mätressen vergnügt. |46| Nicht genug damit, verlangten sie von der Geistlichkeit, es ihnen nachzutun. Nach dem Herrschaftsantritt Roderichs habe sich diese Unmoral sogar noch gesteigert. Verrat aus den eigenen Reihen und irdische Ausschweifungen, gefolgt von einem himmlischen Strafgericht, sind nur zwei Aspekte einer auf christlicher wie muslimischer Seite überaus reichen Legendenbildung im Hinblick auf die Ereignisse von 711. Im Mittelpunkt der arabischen Überlieferung steht die Legende vom verschlossenen Haus und von der Rache des
comes
Julian, der angeblich als byzantinischer Statthalter im nordafrikanischen Ceuta wirkte.

Das verschlossene Haus oder König Roderich, ein Vergewaltiger?
    Der muslimischen Tradition zufolge erfüllte sich mit der Eroberung von 711 eine alte Prophezeiung. Die Legende berichtet von einem geheimnisvollen Haus in Toledo, dessen Türen von den

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