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711 N. Chr. - Muslime in Europa

711 N. Chr. - Muslime in Europa

Titel: 711 N. Chr. - Muslime in Europa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kay Peter Jankrift
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Glaubensgenossen unter christlicher Herrschaft konnten die Toledaner |97| Juden nicht von vornherein auf die gleichen oder gar bessere Lebensbedingungen nach dem Machtwechsel hoffen. Auch wenn Alfons VI. für seine vergleichsweise wohlwollende Haltung gegenüber den Juden bekannt war, konnte sich die Lage schon unter seinem Nachfolger entscheidend ändern. So dürften neben den Muslimen auch zahlreiche Juden Toledo verlassen haben, darunter die Familie Jehuda Ha-Levis. Dass nur wenig später die Almoraviden auf den Plan treten und eine strengere Religionspolitik verfolgen würden, war zum Zeitpunkt der Wiedergewinnung Toledos für die Christen der Iberischen Halbinsel noch nicht abzusehen. Nicht zweifelsfrei geklärt sind die Umstände. Während einige arabische Chronisten berichten, dass die christliche Übernahme der Stadt nicht gänzlich ohne Blutvergießen verlief, sprechen andere von kampfloser Kapitulation der Muslime.
    Am 25. Mai 1085 hielt König Alfons feierlichen Einzug in seine neue Hauptstadt, in der sein mozarabischer Berater Graf Sisnando Davídiz als Gouverneur eingesetzt wurde. Die Kapitulationsbedingungen, deren Original nicht erhalten ist, zielten auf eine Gleichberechtigung der christlichen, jüdischen und muslimischen Bevölkerung ab. Allerdings geben die in den lateinischen und arabischen Chroniken überlieferten Exzerpte wohl nur die wichtigsten Klauseln wider. Dem toledanischen Erzbischof und Historiographen Rodrigo Jiménez de Rada (1209–1247) zufolge wurde den Muslimen nicht nur ihr gesamter Besitz belassen, sondern auch Glaubensfreiheit zugestanden. Darüber hinaus sollte die Hauptmoschee, die Mezquita Mayor, in ihrer Obhut verbleiben. In modifizierter Form galten diese Verfügungen auch für die Juden und die bereits in der Stadt ansässigen mozarabischen Christen. Ferner sollten die Abgaben auf der Höhe vor Einnahme der Stadt bleiben. Diese Bestimmung bedurfte für Muslime und Juden gewiss einer näheren Ausführung, denn Nichtmuslime waren vor der christlichen Herrschaftsübernahme zur Zahlung einer Kopf- und gegebenenfalls einer Grundsteuer (arab.
gizya
und
harag
) verpflichtet. Darüber hinaus waren Juden unter christlicher Herrschaft in der Regel zu Sonderabgaben an den König verpflichtet. Ferner sollten Alfons VI. alle vakanten Besitzungen zustehen. Ibn al-Kardabus fügt hinzu, dass der König den Muslimen |98| freien Abzug garantierte und zugleich das Recht auf Rückkehr bei voller Erstattung der Habe einräumte.
    Die von Pragmatismus bestimmte Intention des Herrschers, durch die formale Gleichberechtigung der drei Glaubensgemeinschaften einer Entvölkerung der Stadt entgegenzuwirken und die rechtliche Grundlage für ein friedliches Zusammenleben zu schaffen, scheiterte jedoch schnell an den konträren Interessen seiner Entourage. Alfons‘ Gemahlin Konstanze von Burgund (gest. 1092) wie auch der überwiegend aus Frankreich stammende Klerus stellten sich gegen einen allzu toleranten Umgang mit Andersgläubigen. So war ihnen vor allem Sisnando Davídiz, der aufgrund seiner eigenen Biographie für eine Politik der
Convivencia
stand, ein Dorn im Auge. Es ist wohl dem großen Einfluss dieser Fraktion zuzuschreiben, dass Alfons seinen mozarabischen Statthalter nur sechs Monate später durch den Grafen Pedro Ansúrez (gest. 1117) ersetzte. Ansúrez, einer der engsten Berater des Königs verfolgte eine harte Linie gegenüber den Muslimen. Die Abkehr von der ursprünglich vom König angestrebten
Convivencia
hatte tiefgreifende Konsequenzen für die weitere Entwicklung des Zusammenlebens von Christen, Muslimen und Juden. Toledo veränderte sein Gesicht ein weiteres Mal. Aus einer islamischen wurde in der Folgezeit allmählich wieder eine christliche Stadt.

|99| + + + Der Untergang von al-Andalus + + +
    Die christliche Rückeroberung Toledos ist ein Markstein für den weiteren Verlauf der Reconquista.Die neue Hauptstadt Kastiliens wird zum Anziehungspunkt für Gelehrte aus ganz Europa, die wissenschaftliche Texte zum ersten Mal ins Lateinische übersetzen. Fast fünfhundert Jahre nach dem Tod Mohammeds gibt Petrus Venerabilis, Abt von Cluny, eine Übersetzung des Korans in Auftrag. Die Kreuzzugsbegeisterung beschleunigt die iberische Reconquista. Trotz Rückschlägen ist die Verdrängung der Muslime von der Iberischen Halbinsel nach dem christlichen Sieg über die Almohaden bei Las Navas de Tolosa nur noch eine Frage der Zeit.

|100| Toledo – Stadt des Wissens und der ersten

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