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72 - Der Weg zum Glück 07 - Insel der Gefangenen

72 - Der Weg zum Glück 07 - Insel der Gefangenen

Titel: 72 - Der Weg zum Glück 07 - Insel der Gefangenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Stimme durch die Nacht erschallte. Es klang, als ob sich der Himmel geöffnet habe und ein Engel des Herrn in Sphärentönen sein Nachtgebet zur Erde steigen lasse.
    Unten im Dorf lauschten alle. Der Graf war tief, tief ergriffen. Er wollte es wirklich nicht, aber eine innere, unwiderstehliche Macht zog seinen Arm empor und zu ihr hinüber. Er legte ihn um ihren Leib, und sie sträubte sich nicht dagegen.
    Drüben an den Felsenwänden hatte das Echo die letzten, herrlichen Töne ergriffen und sandte sie wieder zurück. Es klang wie eine Antwort der müden Erde auf die Stimme des Himmels.
    „Leni!“ flüsterte der Graf. „So hörte ich noch nichts, so wunderbar!“
    „Soll ich auch den nächsten Vers noch singen?“ fragte sie. „Es gibt nur zwei.“
    „Ja, bitte, singen Sie ihn! Ich wollte, dieses Lied hätte tausend Verse! Ich hörte eine ganze Ewigkeit lang zu.“
    Er zog sie inniger an sich. Sie legte ihr Köpfchen an seine Schulter und fuhr fort:
    „Und wie nun alle Kerzen
Erloschen durch die Nacht,
Da schweigen alle Schmerzen,
Die uns der Tag gebracht.
Lind säuseln die Zypressen;
Ein seliges Vergessen
Durchschwellt der Lüfte Pracht.
Schlaf in Ruh, schlaf in Ruh!
Vorüber ist all
Der Tag und sein Schall.
Schlaf in Ruh, schlaf in Ruh,
Die Liebe Gottes deckt euch zu!“
    Wieder antwortete das Echo. Der Graf lauschte. Er hielt die Sängerin umschlungen. Sie hatte geendet, aber sie nahm ihren Kopf nicht von seiner Achsel fort.
    „Leni, meine herrliche, herrliche Leni!“ flüsterte er. „Ich fühle, daß ich einen großen, großen Raub begehen will; aber ich kann, ich kann nicht anders; ich habe dich zu lieb, o zu lieb. Ich flehe dich aus vollster Seele an: Lebe nicht der Kunst allein, sondern gib auch mir einen Teil deines Herzens!“
    Sie schwieg, doch nach einer Weile fragte sie mit leise bebender Stimme:
    „Nur einen Teil?“
    „Ja, nur einen Teil. Das ganze Herz, welches doch an der Kunst hängt, kann ich nicht von dir fordern.“
    „Weißt du nicht, daß die größte und heiligste Kunst des Weibes ist, die Ihrigen glücklich zu machen?“
    „Leni, ist's möglich, ist's möglich. Du wolltest dem Gesang ganz entsagen?“
    „Nein. Der Herrgott hat ihn mir gegeben, und ich darf mich an seiner Gabe nicht versündigen. Aber wenn ich einem Mann gehöre, so will ich vor allen Dingen sein Eigentum sein. Dann entsage ich dem Theater und singe nur noch in der Kirche und im Konzert.“
    Es durchrieselte ihn fast wie kalt bei der Heiligkeit dieser Worte und der Größe des Opfers, zu welchem sie sich bereit zeigte.
    „Darf dieser Mann das auch annehmen?“ fragte er.
    „Ja, er darf.“
    „Mein Gott, welch ein Glück erwartet ihn! Und nun sage mir, wer dieser Mann ist!“
    „Weißt du es nicht?“
    „Ich – ahne es. Oh, diese Ahnung enthält schon eine ganze, ganze Seligkeit!“
    Sie schlang beide Arme um ihn und drückte den Kopf weinend an seine Brust.
    „Mein Leben, meine Seele, meine Wonne!“ rief er aus. „So ein Glück hab ich stets für unmöglich gehalten.“
    „Und doch habe ich dich geliebt vom ersten Augenblick an, an welchem ich dich sah.“
    „Und ließest doch nichts merken!“
    „War ich denn nicht gut zu dir?“
    „Gut, ja, aber zurückhaltend.“
    „Ich fürchtete mich.“
    „Vor mir?“
    „Nein. Wie könntest du mir ein solches Gefühl einflößen. Nein! Es war dein Stand, vor dem ich mich fürchtete.“
    „Daß ich Graf bin?“
    „Ja.“
    „Ist denn das so fürchterlich?“
    „Für mich, ja. Oh, wie würde ich mich freuen, wenn du arm und gering wärst, wenn ich das, was mir der Gesang einbringt, dir geben und sagen dürfte: Hier, nimm, das gebe ich dir. Ich lebe für dich und ich – singe auch für dich!“
    „Ja, so bist du, so bist du! Was habe ich Großes getan, daß mir Gott ein solches Weib beschert? Ich werde ohne Ende bemüht sein müssen, deiner würdig zu sein.“
    „Nicht so, Arnim, sprich nicht so! Das tut mir weh. Aber um eins bitte ich dich!“
    „Um was? Sei es noch so viel und noch so schwer, ich erfülle diese deine Bitte.“
    „Es ist so wenig und doch so viel. Es ist so leicht und doch so schwer!“
    „Bitte, bitte, sage mir's!“
    Da drückte sie sich innig, innig an ihn und bat in flehendem Ton:
    „Nimm mir's im Leben niemals übel, daß ich nur so ein armes, geringes Dirndl war! Ich würde vor Schmerzen eingehen, wenn ich das sehen müßte.“
    „Leni, was sagst du da! Ich schwöre –“
    „Nein“, unterbrach sie ihn. „Keinen Schwur;

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