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74 - Mein Leben und Streben

74 - Mein Leben und Streben

Titel: 74 - Mein Leben und Streben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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ausgegossen wird, und zwar mit raffinierter Benutzung und Bearbeitung der Bitterstoffe, die im Gemüt geschiedener Frauen vorhanden sind. Als das arme, unglückliche Weib das las, erschrak sie. Er schwieg also nicht! Er hatte nicht Wort gehalten! Sie eilte sofort zu ihm nach Berlin, um ihn zur Rede zu stellen. Er behielt sie gleich dort. Er übergab sie seinem Schwager Heinrich Medem, einem früher gewesenen Rechtsanwalt und Notar, der vereint mit ihm ihr Beistand wurde. Beide veranlaßten sie zunächst, auf ihre 3.000 Mark Rente zu verzichten, und zwangen sie sodann, ihre Pretiosen zu versetzen, damit es ‚nach außen einen besseren Eindruck mache‘. Das heißt doch wohl, damit man denken möge, daß ich es sei, der diese Frau in solche Armut und solches Elend gestürzt habe! Das hat Lebius in seinem Brief an die Kammersängerin von Scheidt, welcher den Gegenstand der vorliegenden Privatklage bildet, wörtlich eingestanden, und der Vorsitzende der ersten Instanz hat ihn gelobt, indem er öffentlich sagte: „Das ist sehr edel von Ihnen!“
    Lebius hat dieser Frau, als sie nun ohne alles Einkommen war und vor dem Nichts stand, eine Rente für das ganze Leben von monatlich 100 Mark versprochen, er, der wegen zwei oder drei Mark vergeblich ausgepfändet worden ist! Sie hat es ihm zunächst geglaubt; er aber hat sehr wohl gewußt, daß dieses Versprechen nicht rechtsverbindlich war. Nichts als Spiegelfechterei! Sie borgte bei Bekannten 500 Mark, um leben zu können. Von ihm aber bekam sie nach und nach nur 200 Mark, aber nicht etwa geschenkt, sondern nur geliehen, denn als er merkte, daß sie von ihm weg und wieder zu mir strebte, drohte er ihr, sie wegen dieser 200 Mark um 300 Mark zu verklagen.
    Und was hatte sie davon, daß sie auf ihr ganzes Einkommen verzichtete, daß sie aus ihren schönen, wohlgeordneten Verhältnissen in die schmutzige Not und Sorge sprang, daß sie sogar ihre Kleinodien verkaufte und versetzte? Nichts, weiter gar nichts, als daß sie das Rachewerkzeug des Herrn Lebius wurde, daß er sie abrichtete, so über mich zu denken, zu sprechen und zu schreiben, wie es ihm beliebte, und daß sie ihm und seinem Schwager Medem in jeder Beziehung gänzlich in die Hand gegeben war. Denn als ich infolge des obigen Artikels im ‚Bund‘ gezwungen war, meine geschiedene Frau zu verklagen, machten Lebius und Medem ihr die Schriftsätze ganz so, daß Lebius für seine Angriffe gegen mich den ganzen Nutzen davon hatte und sie dabei Dinge unterschreiben mußte, von deren Zweck und Tragweite sie keine Ahnung besaß! Es kam vor, daß sie unter Tränen sich sträubte, einen derartigen Schriftsatz zu unterschreiben. Man zwang sie aber doch! Bis sie endlich doch einsah, daß es unmöglich auf diesem Weg und in dieser Weise weitergehen könne, wenn sie nicht vollständig zugrunde gehen wolle! Sie wendete sich an mich und bat um Verzeihung. Mich erbarmte das arme, verführte Weib. Ich nahm den Strafantrag und den Beleidigungsprozeß gegen sie zurück. Und nun erfuhr ich, in welch raffinierter Weise sie von Lebius aus ihrer sicheren, ruhigen Position zu ihm hinübergelockt worden war, um wirtschaftlich vernichtet und moralisch ausgebeutet resp. gegen mich ausgespielt zu werden. Er sagt in seinem Brief, welcher den Gegenstand des vorliegenden Strafverfahrens bildet:
    „Auf Anraten meines Rechtsanwalts habe ich allerdings im Hinblick auf meine gerichtliche Einigung mit May verlangt, daß Frau Emma erst einen Teil ihrer Schmucksachen versetzt, weil das nach außen hin einen bessern Eindruck macht.“
    Also weil ich mich gerichtlich mit ihm geeinigt habe, weil er mir seine Beleidigungen gerichtlich abgebeten hat und weil er gerichtlich versprochen hat, mich nun für immer in Ruhe zu lassen, also darum, ‚im Hinblick darauf‘ mußte die Frau nun ihre Kleinodien versetzen, damit man mich als den Schurken bezeichne, durch den sie in solches Elend getrieben worden sei! Wie nennt man so ein Verhalten? Und nachdem er sie in dieser Weise um ihr ganzes früheres Einkommen und um ihre Schmucksachen gebracht hat, schreibt er in diesem seinem Brief: „Ich habe auch durch meinen Syndikus Herrn Geheimrat Überhorst Schritte vorbereiten lassen, um wieder zu meinem Geld zu kommen!“ Gibt es hier überhaupt einen Ausdruck, durch den man imstande wäre, die Lebiussche Denk- und Handlungsweise erschöpfend zu charakterisieren?
    Diese arme, von Lebius in fast jeder Beziehung vollständig ausgezogene Frau ist nicht etwa die erste oder

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