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77 Tage

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Titel: 77 Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucie Flebbe
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anzulegen. Irgendwie war ich sogar erleichtert zu wissen, dass die hilflose Frau in einem sauber duftenden Bett lag, denn dass ihre Schwiegertochter heute noch mal nach ihr sah, war nicht zu erwarten.
    »Eigentlich müssten Pflegekräfte viel besser bezahlt werden« , erinnerte ich mich noch an die Worte meiner Mutter, als wir meine Oma im Altenheim besuchten. »Also ich könnte das nicht.«
    Damit meinte sie genau das, was ich heute gelernt hatte: Windeln wechseln. Und meine Mutter war nicht die Einzige, die sich vor den Ausscheidungen des menschlichen Körpers fürchtete. Wahrscheinlich ekeln sich die meisten Menschen vor ihrer eigenen Klobürste. Merkwürdig, wenn man bedachte, dass Hunderttausende von Hundebesitzern tagtäglich ganz selbstverständlich die Kacke ihres vierbeinigen Lieblings vom Bürgersteig sammelten, sorgfältig in einem Plastiktütchen verstauten und in ihren Handtäschchen abtransportierten.
    »War dein Tag auch so toll wie meiner?«, wollte Danner wissen.
    Molle schob mir eine dampfende Teetasse hin und auf einem Extrateller eine halbierte Zitrone. Seine kleine, schwarze Hündin Mücke hopste auf meinen Schoß und hechelte mir ins Gesicht.
    »’n Traumjob«, murrte ich und presste den Saft beider Zitronenhälften in den Tee. Der Uringeruch pappte mir noch immer in Nase und Rachen. Nicht mal der in mein Gesicht gehechelte Hundeatem von Molles haariger Mitbewohnerin konnte das übertreffen. Da schien mir die scharfe Zitronensäure gerade richtig, um den klebrigen Gestank wegzuätzen.
    »Haste schon ’ne Idee?«, erkundigte ich mich, während mich die Wärme des Tees und die Wärme von Molles Kneipe allmählich entspannten. Bei Molle gab es noch karierte Tischdecken, Topfpflanzen und Fußballfotos, einen blinkenden Flipper, ein Dartspiel und Schnitzel Pommes rot-weiß. Und natürlich den gemütlichen Wirt, der sich jede Schnapsgeschichte geduldig noch ein dreihundertfünfzehntes Mal anhörte. Praktischerweise lag diese unerschöpfliche Quelle an Nahrung und Bier genau zwei Stockwerke unter unserer Detektei.
    »Ich hab nicht mal eine Ahnung, wo wir anfangen sollen«, gestand Danner. »Ich hab mir von der van Pels eine Liste aller in den letzten vier Jahren Verstorbenen geben lassen – streng geheim natürlich, wegen des Datenschutzes. Aber eine Chance sehe ich nur, wenn wir dicht genug an die Mitarbeiter rankommen. Das Positive an dem Fall: Wir haben Arbeit für Wochen.«
    Plötzlich hatte ich wieder das Gefühl, Urin und Kölnisch Wasser zu riechen, und hielt mir rasch meine Teetasse unter die Nase.
    »Tolle Aussichten«, stöhnte ich.
    »Du wolltest den Auftrag doch unbedingt«, stichelte Danner. »Ich hab nicht ›Hier‹ geschrien.«
    Arsch. Er hätte mir seine Bedenken dem Fall gegenüber ja auch mal mitteilen können.
    »Dir hat dein Verehrer doch alle Türen aufgehalten«, giftete ich. »Ich hab der rentennahen Übereifrigen den ganzen Tag ihren Zehn-Zentner-Koffer hinterhergeschleppt.«
    Danner rieb sich grinsend das rasierte Kinn.
    »Hat dir die van Pels eigentlich vorher gesteckt, dass dein Freund Kuchenbecker auf deine Muckis abfährt?«, wollte ich wissen.
    »Reines Glück«, zuckte Danner die Schultern. »Ich dachte mir, die Chancen, auf einen Homosexuellen unter den Krankenpflegern zu treffen, sind höher als bei Bundeswehrsoldaten oder Baggerfahrern.«
    Danners schöne Tarnung basierte also auf einem bescheuerten Vorurteil und der Kerl hatte auch noch Schwein genug, um mit seiner politisch vollkommen unakzeptablen Einstellung recht zu behalten.
    »Nebenbei ist die Arbeit als schwuler Pfleger auch nicht so bezaubernd harmonisch, wie du dir das vorstellst.« Danner griff nach seinem Bierglas. »Bei den jüngeren Menschen mag die Toleranz heutzutage ja selbstverständlich sein, aber bei der Generation, die Betreuung braucht, sieht das anders aus. Da freut sich nicht jeder Opa über die hübsche Farbe des Lippenstiftes, wenn der Kerl, der ihn trägt, ihm die Hose wechseln soll.«
    »Du durftest also auch Einblick in die schönen Seiten des Jobs gewinnen«, stellte ich fest. »Die Todesengel-Theorie bringt uns jedenfalls nicht weiter. Wenn hier einer aus Mitleid kranke Menschen umbringen würde, dann müsste meine letzte Patientin schon lange tot sein.«
    »Den Eindruck hatte ich auch.« Danner starrte in sein Bier.
    Waren ihm die heutigen Pflegeerfahrungen tatsächlich nahe gegangen?
    Als er meine Verwunderung bemerkte, leerte Danner sein Glas auf ex. »Und um den Eindruck zu

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